Laugenzuflüsse – Salzstock Gorleben /Parallelen Asse II
[download id=“8″]
Das Atomforum e.V. hatte mich gebeten, auf der Jahrestagung Kerntechnik in Dresden an einem Streitgespräch über die Parallelen Salzstock Gorleben /Asse II teilzunehmen. Die Teilnahme habe ich abgesagt. Mein Angebot, diesen und einen weiteren Diskussionsbeitrag den Tagungsunterlagen beizufügen, haben die Veranstalter zurückgewiesen.
Laugenzuflüsse gibt es in der Asse II, dem Pilotprojekt für Gorleben, seit 1988. Dass das ehemalige Kalibergwerk mangels durchgehender Tonschicht keine Abschirmung gegen Wasser aus dem Deckgebirge hatte, war schon bei Inbetriebnahme des Bergwerks als Atommülllager klar. Heute ist das Desaster offensichtlich: täglich müssen 12 Kubikmeter Lauge aufgefangen und abgepumpt werden, eine Kammer mit Atommüll wird bereits umspült.
Endlich wird offiziell eingestanden, dass das Kalibergwerk Asse II von Anfang an als Atommülllager ohne eine entsprechende Genehmigung genutzt wurde und niemals Sicherheitsanforderungen genügt hat. Aus Sicht der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg greift Bundesumweltminister Sigmar Gabriel mit seiner Klarstellung allerdings zu kurz:
Bei allen Unterschieden zwischen einer ehemaligen Kaligrube, die als Endlager illegal genutzt wurde, und einem Neubau im Salzgestein wie in Gorleben, drängen sich die Parallelen zwischen der Asse II und Gorleben förmlich auf. Jahrelang galt die Asse II als Pilotprojekt für Gorleben und die Geowissenschaftler, die sich, wie Prof. Klaus Kühn, für Gorleben stark machten, hatten auch der Asse II wider besseren Wissens einen Persilschein in punkto Standsicherheit und Trockenheit ausgestellt.
Die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB), Vorläuferbehörde des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS), hatte nach Auswertung der Tiefbohrungen im Raum Gorleben von sich aus vorgeschlagen, dass „Erkundungsrisiko breiter zu streuen“ und auch andere Standorte als Gorleben zu untersuchen. Der Hintergrund: der Salzstock Gorleben ist nicht hinreichend gegen Wasserwegsamkeiten abgeschirmt. Eine weitere Parallele: Das BfS weiß um diese geologischen Daten, die gegen Gorleben sprechen, legt sie aber nicht offen.
Auch in Gorleben gab es Probleme mit dem Wasser. Die Tiefbohrungen und das Abteufen der Schächte gaben darüber Aufschluss. Insgesamt flossen bis zum Beginn des Moratoriums rd. 260.000 Liter. Das mag auf den ersten Blick wenig sein, doch der erste Blick täuscht.
Hier das Protokoll der Wasserzuflüsse beim Abteufen der Schächte.
Erst waren es nur 0,1 Liter Lauge pro Minute, die im Schacht 1 in einer Teufe von 312 m tröpfelten, und der Sprecher der DBE, Dr. Rolf Meyer, konnte darin nichts Besonderes sehen. In der sogenannten „Topfrisszone“ – das ist der Bereich zwischen Schacht und dem Frostkörper – träten naturgemäß Laugenzuflüsse auf, die per Injektionen und Verpressungen mit Magnesiazement gestoppt werden sollten. Der Bürgerinitiative, der „zwischen den Jahren“, also Ende Dezember 91 gesteckt wurde, im Schacht 1 sei es „nass“, wurde vorgehalten, sie würde den Normalfall dramatisieren.
Dann waren es auf einmal 6 Liter pro Minute (4.1.92), die Teufarbeiten mussten gestoppt werden, und das niedersächsische Umweltministerium schloss sich unserer Bewertung an, das Auftreten der Laugenzuflüsse trotz der Injektionen käme „unerwartet“. Prof. Dr. Eckard Grimmel vermutete gar „thermische Schwierigkeiten“, dass nämlich Salzlaugennester mit hohen Temperaturen das Gefrieren im Schachtbereich erschwerten.
Kernbohrungen wurden vorgenommen, um den Bereich bis zu 320 m Schachttiefe näher zu untersuchen. Laut Umweltministerium wurden nun auch weitere Laugen unterhalb von 312 m geortet. „Fachleute seien bisher nicht davon ausgegangen, dass die topfförmigen Risse noch in dieser Tiefe auftreten“, zitiert die EJZ (16.1.92) das NMU: „Für die Vermutung, dass auch in der sogenannten Gorleben-Bank, einer geologischen Schicht im Salz, Lauge fließe, hätten die bisherigen Bohrungen keinen Hinweis gegeben“ (EJZ 16.1 .92). 216 Bohrungen würden nun fächerartig ins Salz getrieben, um die vorhandenen Risse zu verpressen und zu schließen.
Selbst Klaus von der Brelie (HAZ), der noch nie als Gorleben-Kritiker auffiel, wirft die Frage auf: „Eine Milliarde DM in den Sand gesetzt? – Tröpfelnde Lauge bestärkt Zweifel am Salzstock Gorleben“ (HAZ 30.1.92).
Das BfS-Info 1/92 (14.2.92) vermeldet, die Verpressarbeiten würden noch bis Ende Februar dauern.
Während die DBE nicht müde wird, diesen Vorfall als Normalfall auszugeben, kommt Mitte Februar in Hannover eine Runde von Geologen zusammen. Bei der Begutachtung der Daten und Fakten sei Erstaunliches herausgekommen, sagte Prof. Dr. Duphorn von der Uni Kiel gegenüber der Presse. Erst einmal handele es sich nicht um jeweils einzelne Risse, sondern „um ein ganzes Netzwerk von kommunizierenden Röhren“, so Duphorn. Sicher sei außerdem, dass die in den Schacht eingeflossene Lauge nicht aus Einschlüssen im Salzstock stamme, sondern dass Risse Verbindungen nach oben zum Gipshut und dem darüber liegenden Gebirge hätten. Durch Druckmessungen und chemische Untersuchungen der Lauge sei dies nachgewiesen (taz 18.2.92).
Ende April tröpfelt es immer noch: werden die Verschlusshähne geöffnet, sind es 20 bis 30 Milliliter pro Minute, nach Auffassung des BfS handelt es sich „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ um mittlerweile durch die Verstopfung eingeschlossene Laugenreste (EJZ 25./26.4.92).
Prof. Duphorn legte am 21.2.92 eine „vorläufige geologische Bewertung“ vor, der die Daten der Endlagerbauer zugrundelagen. Sonderliches kam zu Tage: Das Schachtprofil der BGR/DBE zeigte oberhalb des 278 m Niveaus eine „Vielzahl von Laugenzuflussstellen mit maximalen Laugenzuflüssen von je 7.2, 15, 24 und 180 Liter pro Minute (!). Das BfS hatte aber nur einen Laugenzutritt bei 296 m vermeldet. Bis 290 m Teufe liegen demnach die Zuflüsse so dicht, dass Duphorn von einer „Punktwolke“ sprach. Selbstverständlich müsse von Kontraktionsrissen wegen des angewandten Tiefkälteverfahrens ausgegangen werden, salztektonisch bedingte Risse müssten jedoch ebenfalls angenommen werden, zumal die Richtung aller Risse mit der bekannten Störzone im Salz zwischen 260 und 280 m Tiefe korrespondiere.
Erst sechs Monate nach Abbruch der Teufarbeiten sollte es mit dem Buddeln weitergehen. Das NMU hält vorsorglich fest: „Aus atomrechtlicher Sicht bestehen keine Zweifel daran, dass die festgestellten Risse für die Sicherheit des geplanten Endlagers bedeutend sind. Das Ministerium hat empfohlen, die Topfrisszone sofort zu erkunden und damit nicht bis zum Abschluss der Bergbauarbeiten zu warten. Dieses hat das Bundesamt abgelehnt. Es beruft sich dabei darauf, dass es derzeit lediglich um eine bergrechtliche Erkundung geht. Der Antragsteller wird später nachweisen müssen, ob sich das Salzgestein für eine Endlagerung von Atommüll überhaupt eignet und ob der Schacht den hohen Anforderungen eines Endlagers genügt oder ob die Gefahr des „Absaufens“ besteht. Sollte es dann nicht mehr möglich sein, alle Daten zu erheben, die für eine Beurteilung der langfristigen Sicherheit nötig sind, steht der Erfolg des atomrechtlichen Verfahrens grundsätzlich in Frage. Dieses Risiko geht zu Lasten des Antragstellers.“ (Nr.84/92 v.8.6.92)
Schäden an Schrauben im Fundament- und Stützbereich werden im November 1993 entdeckt. Korrosion und Schraubenbruch trat auf. Ein Monat später ist es wieder nass im Schacht 1. Das BfS teilt im Gorleben-Info 24/93 (13.2.93) mit, dass auf der Schachtsole in mittlerweile 360 m einige Kubikmeter (!) Wasser zusammenliefen. Für die Endlagerbauer ist klar, es handele sich um Tauwasser von den vereisten Schachtwänden. Das NMU will sich nicht festlegen, ob es salzgesättigtes Tauwasser oder Lauge ist.
Der nächste Laugenzutritt war im März 1996 zu verzeichnen. Die Endlagerbauer bohrten in 840 m Teufe horizontal ein Laugennest an. 140 Kubikmeter Lauge strömten aus. Nach 200 m stieß man auch auf Gasvorkommen im Anhydrit-Gestein, das wegen seiner wasserleitenden Eigenschaften bei den Endlagerbauern nicht besonders beliebt ist. Ostern 1996 bietet sich dann folgendes Bild: inzwischen wurde auch im Bereich des Schachts 2 ein Laugennest angetroffen, nur 60 m vom Schacht entfernt. Die FR interviewt Prof. Duphorn. Nach dessen Ansicht ist „damit erwiesen, dass der Salzstock nicht geeignet ist, denn nach den anfangs von der PTB aufgestellten Kriterien müsse wegen Einsturzgefahr der Mindestabstand zu Laugennestern 75 Meter betragen.“ 180 Kubikmeter sind es laut Gorleben-Info des BfS 53/96 vom 17.4.96, 216 Kubikmeter am 18.6.96 (BfS 54/96), und es tröpfelt immer noch.
Pünktlich zum Jahresende am 23.12.96 meldet das BfS (57/96) wieder Laugenzuflüsse und verweist auf die Störzone des Anhydrit. Das BfS behauptet, es sei nachgewiesen, dass „sie keine Verbindung zu Grundwässern in Gesteinen haben, die den Salzstock umgeben.“ Dagegen steht die Auffassung Duphorns. Demnach enthält der Salzstock Gorleben sprödes, klüftiges Gestein. Soweit Klüfte „verheilt“ (mit Salz verschlossen…) sind, könnten sie aufbrechen, wenn das Gebirge durch den Bergbau und durch das Auslaufen von Laugennestern unter Spannung gerate. So könne auch Verbindung zum Grundwasser entstehen. Diese Gefahr drohe vor allem unter Einwirkung der hohen Temperatur radioaktiver Abfälle.
Das Verstopfen der Zuflüsse ist deshalb lediglich Oberflächenkosmetik. Die hohe Wärmeentwicklung im Salzgestein für den Fall, dass dort hochradioaktive, wärmeentwickelnde Abfälle gelagert werden sollten, kann versiegte und verstopfte Zuflüsse auch bis ins Grundwasser reaktivieren und die Verpressmaterialien wieder aufsprengen – und das in Schachtnähe! Auf diese Gefahr wies das BfS in einem Zwischenbericht zu Gorleben im April 1990 selbst hin: „Es muss weiter bedacht werden, dass nach dem Ausfließen eines zunächst begrenzten Lösungsreservoirs gegenwärtig verschlossene Wegsamkeiten zum Nebengestein und Deckgebirge neu geöffnet werden können. In einem solchen Fall wäre die Gefahr weiterer Lösungszuflüsse nicht auszuschließen.“ (Fortschreibung des zusammenfassenden Zwischenberichts über bisherige Ergebnisse der Standortuntersuchung Gorleben, S. 78).
Sicherlich fußt diese Einsicht auch auf dem Beitrag Prof. Albert Günter Herrmanns, der in der Anhörung vor dem Innenausschuss des Deutschen Bundestages am 20. Juni 1984 auf die Salzlösungen in den Flanken des Salzstocks hinwies: „Bei der Bewegung der Salzschichten durch die Einlagerung stark wärmeentwickelnder Abfälle können sich sich Wegsamkeiten zwischen den Lösungsreservoiren im Salzstock (auch Nebengestein, Deckgebirge?) (Anm.: Fragezeichen von Prof. Herrmann) und dem Endlagerbereich ausbilden. Der Salzstock ist daher nur begrenzt als geologische Barriere zu bewerten.“ (Protokoll, S. 390) Diese Bewegungen treten besonders auch dann auf, wenn die Aufheizung des Salzes durch die wärmeentwickelnden hochradioaktiven Abfälle, die ja eine Ausdehnung des Salzkörpers bewirkt, wieder abklingt, so dass es zu einer geologisch gesehen relativ „schnellen“ Kontraktion (Zusammenziehen) kommt.
In einem Beitrag für die Zeitschrift „Kali und Steinsalz“ verweist Herrmann auf eine Versuchsreihe mit thermischen Quellen: „Dabei zeigte sich, dass nach einer einjährigen Aufheizung des Steinsalzes die Lösungen während der darauf folgenden Abkühlperiode in Richtung des Bohrlochs mit dem abgeschalteten Heizgerät wanderten.“(März 1985, Bd 9, Heft 4, Verlag Glückauf GmbH Essen).
Geht es um mögliche Wasserwegsamkeiten, fügte Prof. Dr. Eckhard Grimmel 1988 in einem Fachvortrag im „Energietechnischen Kolloquium der Fachhochschule Hamburg“ dem noch ein weiteres Argument hinzu: „Steinsalz hat einen höheren thermischen Ausdehnungskoeffizienten als seine unmittelbar benachbarten Salzgesteine (Kalisalze, Anhydrit, Salzton). Bei Einlagerung wärmeproduzierender Abfälle kommt es deshalb innerhalb des Salzstockes an Schichtgrenzen zu Spannungen, die zu Riss- und Spaltenbildung und somit Grundwasserzutritt führen können.“ („Die „Entsorgung“ der Atomkraftwerke- Legende und Wirklichkeit“, Schriftenreihe des WSL 4/88).
Klüfte, Risse, Mikrorisse, Ausquetschen bei Wärmeentwicklung, Randzonen, Hydraulik, Rückfluss…Deshalb kommt den Laugennestern eine Sicherheitsbedeutung zu.
Das Bundesamt für Strahlenschutz weist offen auf Gefahren hin: „Es muss bedacht werden, dass nach dem Ausfließen eines zunächst begrenzten Lösungsreservoirs gegenwärtig verschlossene Wegsamkeiten zum Nebengestein und Deckgebirge neu geöffnet werden können. In einem solchen Fall wäre die Gefahr weiterer Lösungszutritte nicht auszuschließen. Deshalb ist auch eine sicherheitsanalytische Bewertung solcher Lösungsvorkommen notwendig. Die Einlagerung radioaktiver Abfälle sollte in Endlagern außerhalb dieser Bereiche stattfinden, da die Lösungen zur Korrosion der Behälter führen können.“ (Pressemitteilung 9.03.09)
Gepaart mit der – hier nicht abgehandelten – Wahrscheinlichkeit, dass das Hauptanhydrit als wasserführende Störzone in den prospektiven Lagerbereich hineinreicht, lautet unser Prädikat folglich:
„Der Salzstock Gorleben-Rambow ist als Atommüllendlager ungeeignet“.
Ob Salz überhaupt als Wirtsgestein in Frage kommt, wird darüberhinaus zu prüfen sein.
Eine ergebnisoffene Endlagersuche aber setzt aber voraus, auf die Atomkraft und die Atommüllproduktion vollständig und unwiderruflich zu verzichten. Am besten sofort.
Mehrere Standorte müssen parallel in einem transparenten Suchverfahren erkundet werden. Die Abfallverursacher tragen die Kosten.
Wolfgang Ehmke