"Hans-Heinrich, uns graust´s vor dir!"
Niedersachsens Umweltminister plädiert für längere AKW-Laufzeit und verstammelt sich am laufenden Band. Wenn´s nicht so traurig wär´, könnte man drüber lachen. Bekanntlich wird unser Lachen sie besiegen.
Wir dokumentieren ein Gespräch mit Hans-Heinrich Sander im Deutschlandfunk vom 1.09.10 und rufen unserem „Umweltminister“ zu: „Hans-Heinrich, uns graust´s vor dir!“
Hans-Heinrich Sander im Gespräch mit Dirk Müller
Dem niedersächsische Umweltminister Hans-Heinrich Sander (FDP) bereitet die Uneinigkeit der Bundesregierung in der Frage der Laufzeitverlängerung Unbehagen. Niedersachsen benötige als Kernenergieland schnellstmöglichst Klarheit.
Dirk Müller: Wie kann ein wissenschaftliches Gutachten so unterschiedlich gedeutet werden, und das auch noch von zwei Ministern, die derselben Regierung angehören? Das ist doch immer so, so könnte die Antwort auf eine vielleicht doch naive Frage lauten, Politik ist eben Politik. Konkret gemeint ist das Gutachten über die künftige Energieversorgung. Der liberale Rainer Brüderle, zuständig für die Wirtschaft, liest aus der Analyse heraus, 20 Jahre längere Laufzeiten machen durchaus Sinn. Sein christdemokratischer Kollege Norbert Röttgen, zuständig für die Umwelt, meint, vier Jahre Verlängerung sind gut genug. Die Kanzlerin geht von 10 bis 15 Jahren aus. Seit Monaten quält sich die Koalition mit ihrem energiepolitischen Konzept. – Am Telefon ist nun der niedersächsische Umweltminister Hans-Heinrich Sander (FDP). Guten Morgen!
Hans-Heinrich Sander: Guten Morgen, Herr Müller.
Müller: Herr Sander, welche Zahl haben Sie denn zu bieten?
Sander: Also wir haben im Grunde genommen nichts zu bieten, sondern aufgrund von fachlichen Grundlagen sind wir zu dem Ergebnis gekommen, dass wir bei 15 Jahren Laufzeitverlängerung wohl liegen müssen. Begründet wird das dadurch, dass ja auch die Forderung gestellt wird, dass unsere Kernkraftwerke, wenn es zu einer Laufzeitverlängerung kommt, sicher werden müssen, sicherer werden müssen, damit sie auch die Verlängerung dementsprechend mittragen können. Das ist im Grunde genommen die Begründung dafür, denn die wesentlichen technischen Umbauten, wenn die umgesetzt werden, dann brauchen sie einen Zeitraum von fünf bis acht Jahren. Das heißt, das sind Investitionen, die in die Millionen gehen, ich will nicht sagen in die Milliarden gehen. Wenn sie natürlich die Szenarien nehmen, die andere da vorschlagen, dann wird das immer noch stärker und größere Summen verschlingen. Also im Grunde genommen muss man umweltpolitisch die Sache betrachten und man muss sie auch volkswirtschaftlich betrachten, denn sonst werden sie diese technischen Umbauten, auf die die Politik so großen Wert legt und Wert legen muss, nicht durchsetzen.
Müller: Dann hat Bundesumweltminister Norbert Röttgen das Gutachten falsch verstanden?
Sander: Das weiß ich nicht. Für mich ist es auch etwas unverständlich, dass in einer Regierung zwei Ministerien das etwas anders sehen. Aber der Bundesumweltminister hat in der ganzen letzten Zeit das nicht so wohl alles verstanden. Ich will Ihnen sagen, Herr Müller: Wir haben ja, die fünf Kernenergieländer haben ja gemeinsam mit dem Bundesumweltministerium auch über Sicherheitsstandards gesprochen. Das ist ja nicht eine neue Sache, sondern die haben wir in der Vergangenheit immer mit dem Bund abgestimmt, und jetzt aufgrund natürlich von eventuellen Laufzeitverlängerungen haben wir diese Maßnahmen auf Fachebene abgesprochen. Da war das Bundesumweltministerium beteiligt. Also wenn ich das weiß von meinen Fachleuten, gehe ich einfach davon aus, dass der Bundesumweltminister Röttgen das auch weiß.
Müller: Hat Norbert Röttgen von vier Jahren gesprochen, weil er in Wirklichkeit ein Aussteiger ist?
Sander: Ich weiß nicht! Das kann ich nicht für Norbert Röttgen beantworten, das müssten Sie ihn fragen. Ich gehe und wir als Niedersachsen gehen an die Sache ganz realistisch heran, ohne Emotionen. Das bringt uns in dieser Form nicht weiter. Gerade wir Niedersachsen haben ja ein Rieseninteresse daran, dass es endlich auch zu einer Lösung kommt, möglichst breit, und dass die Verunsicherung in der Bevölkerung auch aufhört. Wir haben die Hauptlast zu tragen mit der Kernenergie, denn Sie wissen: Es geht nicht nur um die Laufzeitverlängerung in Niedersachsen, sondern es geht auch um die Aufhebung des Moratoriums und all die Fragen, die damit verbunden sind. Deswegen hat die niedersächsische Landesregierung ein großes Interesse daran, dass man gemeinsam zu vernünftigen, tragfähigen und fachlich begründbaren Lösungen kommt.
Müller: Herr Sander, es geht auch um Strompreise, es geht auch um Klimaschutz. 15 Jahre längere Laufzeiten, damit wären diese beiden Faktoren gut bedient?
Sander: Ja! Sie werden die Klimaschutzziele sonst nicht erreichen.
Müller: Also Klimaschutzziele sind nur mit Atomkraft zu erreichen?
Sander: Die sind in der nächsten Zeit nur mit Kernenergie zu erreichen. Und ich meine, das Gutachten hat doch eines deutlich gemacht, dass der Weg in das regenerative Zeitalter aufgezeigt ist. Wir können bis 2050 80 Prozent erneuerbare Energien bei Strom erreichen und 50 Prozent bei der gesamten Primärenergie, aber das heißt eben, dass wir diesen Mix brauchen. Und gerade wir als Niedersachsen, wir sind das Windenergieland Nummer 1 und wir werden die Klimaschutzziele auch nur erreichen, wenn wir im Offshore-Bereich weiter nach vorne kommen. Und im Offshore-Bereich werden wir nur nach vorne kommen, wenn wir die Speichertechnologie weiter erforschen. Das setzt also voraus, solange wir sie nicht haben, brauchen wir auch die Kernenergie zum Lastenausgleich. 9600 Megawatt stehen zur Verfügung, jederzeit, wenn der Wind nicht weht. Also es gibt viele sachliche Begründungen, und für mich sind die sachlichen Begründungen die entscheidenden und da muss die Bundesregierung auch mehr tun, meines Erachtens, in der Bevölkerung, das von der emotionalen Seite wegzuholen und mehr zu den sachlichen Dingen wieder zu bringen.
Müller: Herr Sander, jetzt müssen wir auch über die Kehrseite reden. Wenn wir die Zahlen gestern richtig gedeutet haben, gibt es bislang 14.000 Tonnen Atommüll. Wenn das jetzt alles viel, viel länger geht – Sie sagen, 15 Jahre -, dann sind es über 20.000. Niedersachsen, das ist ja quasi das Land, wo der Müll hin soll. Das sagen jedenfalls viele, zumindest auch Ihre Kollegen aus Bayern und Baden-Württemberg. Und wir haben keine Endlösung. Wie soll das funktionieren?
Sander: Ja, das ist im Grunde genommen der Punkt, der Schwachpunkt wieder, dass bei einer Laufzeitverlängerung – und das ist ja der Vorwurf, den wir auch den früheren Bundesregierungen gemacht haben -, dass man in die Kernenergie eingestiegen ist – übrigens auch die Sozialdemokraten waren daran beteiligt, sehr stark, ich denke gerade auch an Asse, die Probleme, die wir dort haben -, also dass man nicht sofort ein Konzept entwickelt hat, wie auch die atomaren Abfälle dann entsorgt werden. Deswegen ist diese Frage genauso wichtig, sie möglichst schnell zu lösen, unabhängig davon, ob es eine Laufzeitverlängerung gibt, Herr Müller. Die fünf, wo Sie eben von gesprochen haben, von den Mengen, die sind zwar auch, die kommen dazu, aber unabhängig davon brauchen wir eine Frage, wie wir den atomaren Müll entsorgen.
Müller: Aber kann man das wirklich, wenn man über Verlängerung diskutiert, heutzutage noch sagen, unabhängig davon, oder ist das nicht die absolute Bedingung, um überhaupt weiterzumachen?
Sander: Ja, das können Sie sagen. Das ist eine der Bedingungen. Bloß diese Bedingung hat die Politik versäumt. Es ist zehn Jahre lang in der Frage der Endlagerpolitik nichts gemacht worden. Es ist damals der Beschluss gefasst worden, ein Moratorium in Gorleben dementsprechend zu beschließen, aber in den zehn Jahren ist nichts erfolgt, und diesen Vorwurf muss man Herrn Trittin und Rot-Grün machen.
Müller: Aber jetzt sind Sie, Herr Sander, ja auch „die Politik“, wie auch die Bundesregierung, wie auch andere Landesregierungen. Wie will man jetzt mit dem Thema umgehen? Vor allen Dingen: Was passiert da? Keiner weiß, was da passiert.
Sander: Nein! Deswegen müssen wir die letzten zehn Prozent – um die geht es ja; 90 Prozent ist ja Gorleben erkundet – so schnell wie möglich wieder aufnehmen. Wir müssen die bisherigen Ergebnisse international von Wissenschaftlern betrachten lassen, um dann eben auch festzustellen, ob wir diese weitere Erkundung, die ja immerhin fünf bis sieben Jahre dauern wird, ob wir sie also auch dementsprechend verantwortungsvoll durchführen können.
Müller: Wer bezahlt die Exploration?
Sander: Wir haben ja keine Zeit zu verlieren. Die Zeit ist in den letzten zehn Jahren verloren und wir als Niedersachsen haben ja eine Verantwortung auch für die Bevölkerung im Wendland, nicht nur für unsere Kernkraftwerke, sondern für die Region Lüchow-Dannenberg. Deswegen drängen wir darauf, dass da Klarheit in dieser Frage kommt.
Müller: Herr Sander, wissen Sie denn schon, wer das bezahlt, Gorleben weiter zu erkunden?
Sander: Ja, natürlich muss da die Atomindustrie, die Kernenergie dementsprechend auch ihren Beitrag leisten. Das ist doch gar keine Frage!
Müller: Beitrag heißt auch Steuerzahlerbeitrag?
Sander: Steuerzahlerbeitrag? Also wenn sie jetzt die Brennelementesteuer zum Beispiel erheben, dann müssen wir doch sicherstellen, dass die Strom erzeugenden Unternehmen nicht sofort auf die Verbraucher das wieder abwälzen, sondern es muss wirklich klar und deutlich auf die Gewinne geachtet werden, dass sie nicht den Aktionären zugutekommen, sondern wirklich dem Verbraucher, dem Stromkunden. Deswegen: diese Unterscheidung zwischen Steuerzahler und Verbraucher und dann wieder der Staat, das ist schwer zu machen in der Frage.
Müller: Also die Industrie bezahlt nicht alleine, sondern auch die Politik?
Sander: Die Politik wird dabei mitbezahlen werden, und zwar halte ich das auch deshalb für richtig: Wenn die Industrie, die Kernenergie erzeugenden Unternehmen es alleine bezahlen würden, würden sie es auch mit bestimmen. Und die Politik hat ein großes Interesse daran, dass das wirklich sauber, korrekt auch abgehandelt wird. Aus dem Grunde schon allein, aus den Kontrollmechanismen, gibt es eine Verantwortung auch des Staates.
Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk der niedersächsische Umweltminister Hans-Heinrich Sander von der FDP. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.
Sander: Schönen Dank, Herr Müller.