Pressemitteilung der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg e.V.
Hintergrundinformationen zum PUA Gorleben
Das Jahr 1983 war, ähnlich wie die verhängnisvolle Standortentscheidung am 22.02.1977, von besonderer Bedeutung für das Gorleben-Projekt. Nach Abschluss der Tiefbohrungen legte die damals federführende Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) einen sogenannten Zwischenbericht vor. Große Sorge bereitete der Wasserkontakt des Salzstocks Gorleben-Rambow, der zudem noch von der Elbe überquert wird. Die PTB empfahl, auch andere Standorte hinsichtlich ihrer Eignung als Atommüllendlager zu untersuchen.
Aber diese Empfehlung wurde kassiert. Das Bundeskabinett unter Helmut Kohl beschied schließlich, das an Gorleben festzuhalten sei und dass keine weiteren Standorte erkundet werden sollen.
Beim Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) stieß die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg e.V. bei einer Akteneinsicht auf diese ungeheuerliche Diskrepanz. Es war klar, hier wurde Einfluss genommen.
- Der PUA Gorleben sollte die Vorgänge aufklären:
Mit Beschluss des Deutschen Bundestages vom 26.03.2010 wurde ein Untersuchungsausschuss eingesetzt.
Untersuchungsauftrag
Gemäß der vom Deutschen Bundestag mit seinem Einsetzungsbeschluss angenommenen Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (Bundestagsdrucksache 17/1250) war der Untersuchungsauftrag des Ausschusses folgender:
„Der Untersuchungsausschuss soll, ausgehend von der mit Kabinettbeschluss vom 13. Juli 1983 getroffenen zentralen Lenkungsentscheidung der Bundesregierung, sich bei der Suche nach einem Endlager für radioaktive Abfälle aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie auf die untertägige Erkundung des Standorts Gorleben zu beschränken und keine alternativen Standorte zu prüfen, klären, auf Grundlage welcher Gutachten, Expertisen oder sonstiger Informationen und Empfehlungen die Entscheidung vom 13. Juli 1983 aus welchen Beweggründen getroffen wurde und wer an der Entscheidungsvorbereitung beteiligt war,
– ob bei der Entscheidung der damals aktuelle Stand von Wissenschaft und Technik zu Grunde gelegt wurde,
– ob es hinsichtlich dieser Entscheidung politische Vorfestlegungen oder Vorgaben bezüglich des Standorts Gorleben als Endlager gab, und falls ja, welches die Gründe hierfür waren,
– ob es durch Mitglieder oder Mitarbeiter der Bundesregierung oder von dritter Seite Bemühungen gab, den Inhalt von rechts- oder naturwissenschaftlichen Expertisen, Gutachten oder Empfehlungen in diesem Zusammenhang zu beeinflussen oder ob vorhandene Expertisen ungenügend berücksichtigt oder zurückgehalten worden sind,
– ob Mitglieder oder Mitarbeiter der Bundesregierung im Zusammenhang mit der Entscheidung vom 13. Juli 1983 gegenüber dem Parlament, der Öffentlichkeit oder dritten Stellen Informationen vorenthalten oder unvollständige oder falsche Angaben gemacht haben,
– welche rechtlichen, tatsächlichen und politischen Konsequenzen aus den in diesem Untersuchungsverfahren gewonnenen Erkenntnissen für den Standort Gorleben und die zukünftige Suche nach einem Endlagerstandort zu ziehen sind.
Das hoch umgestrittene Ergebnis wurde am 16. 05.2013 vorgelegt.
Auf einer Veranstaltung der Bürgerinitiative Umweltschutz nahmen die Fraktionen Stellung.
Drei Stationen der Gorleben-Geschichte wurden am Samstag auf dem Diskussionsmarathon zu den Ergebnissen des PUA Gorleben ausführlicher beleuchtet: die Standortauswahl 1976/77, die Bewertung der Tiefbohrergebnisse 1983 und die Reaktion auf die Salz-Studie der Bundesanstalt für Geowissenschaft und Rohstoffe (BGR) 1995.
Moderator Jürgen Voges verwies darauf, dass es bei der Standortwahl nur am Rande um die Errichtung eines Endlagers ging, die Wertungspunkte orientierten sich an dem Vorhaben, einen oberirdischen Atomkomplex auf einer Grundfläche von 12 Quadratkilometern bauen. Sogar die Hälfte der Wertungspunkte für das Endlager waren nicht geologischer Natur, es ging allein um die Zentrierung der Atomanlage: sie sollte direkt über dem möglichen Endlager liegen.
Dieter Schaarschmidt spielte das Tondokument ein, wie Angela Merkel als Umweltministerin wahrheitswidrig die BGR Studie aus dem Jahr 1995 dahingehend interpretierte, dass es an Gorleben keine Zweifel gebe, sondern dass Gorleben „erste Wahl“ bleibe. Der Abschlussbericht liest sich hierzu wie ein Polit-Krimi (siehe: Drucksache des Deutschen Bundestages 17/13700 vom 23.05.2013, S. 549-559).
Wolfgang Ehmke referierte, wie es im Jahr 2009 zur Akteneinsicht der Bürgerinitiative zu den Tiefbohrergebnissen 1983 kam und welche Ungereimtheiten den Anstoß für die Einrichtung des PUA gaben.
Akteneinsicht enthüllt, wie eine Fachbehörde politisch überrumpelt wurde
Im Februar 1977 hatte der niedersächsische Ministerpräsident Ernst-Albrecht (CDU) Gorleben als Standort für ein Nukleares Entsorgungszentrum ausgewählt. Nach massenhaftem Protest gegen die Pläne, im nordöstlichen Teil Niedersachsens, der damals wie eine Halbinsel in die DDR hineinragte, eine Wiederaufarbeitungsanlage (WAA), eine Brennelementefabrik wie auch ober- und unterirdische Atommülldeponien zu errichten, revidierte der CDU-Politiker zwei Jahre später sein Angebot an das Kabinett Helmut Schmidt (SPD). Eine WAA sei politisch nicht durchsetzbar.
Am 4. Juli 1979 sagte Ernst-Albrecht in der Energiedebatte vor dem Deutschen Bundestag, die niedersächsische Landesregierung sei nicht bereit, „auf verängstigte Menschen zu schießen“, damit die Anlage gebaut werden könne, die zwar wünschenswert, aber im Augenblick nicht notwendig sei. (Quelle: Elbe-Jetzel-Zeitung vom 5.7.1979). Er hielt allerdings an dem Plan fest, das Tiefbohrprogramm zur Erkundung des Salzstocks durchzuführen. Hydrogeologische Untersuchungen begannen im April 1979, das Tiefbohrprogramm im Januar 1980, es wurde nur kurz unterbrochen durch die Besetzung der Tiefbohrstelle 1004 im Juni 1980. (Quelle: Wolfgang Ehmke, Zwischenschritte. Köln 1987)
Ein atomrechtliches Genehmigungsverfahren wurde 1977 zwar eingeleitet, aber wurde nie eröffnet, stattdessen wurde in Gorleben auf der Basis des Bergrechts, das die Öffentlichkeit von dem Verfahren aussperrt und ein Klagerecht ausschließt, vorgegangen. Der Planfeststellungsantrag der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) wurde übrigens bis heute weder zurückgezogen noch korrigiert.
Ein Zeitungsausschnitt, den ich lange aufgehoben hatte, gab schließlich den Ausschlag für den Antrag auf Akteneinsicht der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg (BI) beim Bundesamt für Strahlenschutz (BfS), der Nachfolgebehörde der PTB: „Maulkorb für kritische Äußerungen über Gorleben“, hieß es in einem Pressebericht. (Quelle: Frankfurter Rundschau 25.7.1985), zitiert wurde Prof. Helmut Röthemeyer. Dem ehemaligen Abteilungsleiter der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) und zuständig für Gorleben entfuhr dieser Satz auf einer Landespressekonferenz in Hannover.
Zwei Jahre zuvor, im Jahr 1983, legte die Bundesanstalt nach Abschluss der Tiefbohrungen einen Zwischenbericht vor. Auf Druck der Bonner Kohl-Regierung wurde dieser umgeschrieben: geologische Bedenken gegen diesen Standort und der Rat, auch andere Standorte zu erkunden, wurden getilgt. (Quelle: Frankfurter Rundschau 25.8.2009) Statt der ursprünglichen Forderung, auch andere Standorte auf ihre Eignung hin zu untersuchen (also nicht mit Ausbau, dem Abteufen von Schächten zu beginnen), wurde in die Schlussfassung die gewünschte Formel aufgenommen, der Salzstock sei „eignungshöffig“. Der Ratschlag, andere Standorte zu untersuchen wurde vollends gestrichen. Schon zwei Monate später stimmte das Bundeskabinett unter Helmut Kohl der untertätigen „Erkundung“ zu.
- Aus der Akteneinsicht ergab sich, dass die PTB weitaus größere Zweifel an der Eignung Gorleben als nukleares Endlager hatte als bisher bekannt.
Die Vorläuferbehörde des heutigen Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS) sprach nach Auswertung der Tiefbohrungen 1983 in zwei Vorentwürfen zum offiziell vorgelegten „Zwischenbericht“ die Empfehlung aus, neben Gorleben sollten auch andere Standorte untersucht werden, um Sachzwänge bei der Realisierung des Endlagers im Salzstock Gorleben zu vermeiden. Am 5.5.83 hieß es im Vorentwurf, der an jenem Tag mit der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) und der Deutschen Gesellschaft zum Bau und Betrieb von Endlagern (DBE) laut handschriftlichem Vermerk diskutiert wurde:
„Es ist daher nicht auszuschließen, dass nach erfolgter untertägiger Erkundung aufwendige Maßnahmen an den technischen Barrieren notwendig werden, um die Einhaltung von Grenzwerten sicherzustellen. Ob diese Ausgaben dann grundsätzlich unvermeidbar sind, kann nur beantwortet werden, wenn Vergleichsdaten von anderen Standorten vorliegen.“
Wörtlich heißt es in den ersten Fassungen des PTB- Berichts, es sei „festzustellen, dass die über den zentralen Bereichen des Salzstocks Gorleben vorkommenden tonigen Sedimente keine solche Mächtigkeit und durchgehende Verbreitung haben, dass sie in der Lage wären, Kontaminationen auf Dauer von der Biosphäre fernzuhalten.“ Mit dem Eintreten von Schadstoffen in den untersten Grundwasserleiter müsse nach 600 bzw. 1170 Jahren gerechnet werden.
Als Begründung für die Untersuchung anderer Standorte führt die PTB hingegen nach der Debatte mit den Vertretern der BGR und DBE in dem zweiten Entwurf an, der auf den 6.5.83 datiert ist, „dies würde auch die Akzeptanz des Standortes Gorleben erhöhen“. Erstmalig taucht der Schlüsselbegriff „Eignungshöffigkeit“ auf, die Zusammenfassung wird nun mit dieser Bekenntnisformel eingeleitet. Die bisherigen Erkenntnisse über den Salzstock Gorleben hätten die „Aussagen über seine Eignungshöffigkeit für die Endlagerung der vorgesehenen radioaktiven Abfälle voll bestätigt.“ Doch immer noch schlägt die PTB vor, nunmehr aus „Gründen der Akzeptanz“, andere Standorte zu untersuchen.
Auch dieser Vorschlag ging der Bundesregierung noch zu weit. Im offiziellen „Zwischenbericht“, datiert Mai 1983, ist dieser Vorschlag dann vollständig gestrichen. Das Abteufen der Schächte – und damit der Bau des Erkundungsbergwerks – begann auf der Grundlage dieses Votums drei Jahre später, im März 1986.
- Als Reaktion auf diese Enthüllungen im Jahr 2009 hatte Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) Gorleben für politisch tot erklärt.
Die Grünen zogen nach, sie hatten in der Vergangenheit trotz der Bedenken gegen Gorleben aus realpolitischen Überlegungen wie die SPD einen Standortvergleich vorgeschlagen, Gorleben sollte ursprünglich aber im Pool möglicher Standorte bleiben und mit verglichen werden. Auch aus der CDU gab es damals schon neue Töne in altem Gewand: „Ich will nicht ausschließen, dass weitere mögliche Standorte unter die Lupe genommen werden“, sagte Baden-Württembergs Umweltministerin Tanja Gönner (CDU). „Wir müssen uns gut überlegen, ob wir es uns leisten können, am Ende möglicherweise mit leeren Händen dazustehen.“ Sollte sich herausstellen, dass der Salzstock im niedersächsischen Gorleben nicht als Endlager geeignet ist, „brauchen wir einen neuen Suchlauf“.
Vier Jahre später, nach Abschluss des PUA Gorleben, stehen die Auffassungen hingegen diametral gegeneinander. Die Regierungsparteien sehen sich bestätigt, in Gorleben sei alles rechtens zugegangen, SPD, Grüne und Linke sehen – wie wir – Lug und Trug und halten Gorleben für delegitimiert. Was SPD und Grüne nicht davon abhielt, in das Standortauswahlgesetz (StandAG) Gorleben hinein zu schreiben und damit zu legitimieren.
Wolfgang Ehmke, Pressesprecher der BI, aktualisiert 14.03.2015
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