Über Gorleben braucht man nicht mehr zu reden…
Es rollen keine Castoren mehr ins atomare Zwischenlager. Eine alternative Endlager-Suche ist bundesweit gestartet. Die Erkundung im Endlager-Projekt Gorleben ist gestoppt. Über Gorleben muss man nach wie vor reden.
Denn keiner weiß, wohin mit den nächsten Castoren. Und weltweit gibt es nach wie vor kein Endlager für hochradioaktiven Atommüll. Die Bundespolitik will gerade allein für Gorleben eine Veränderungssperre fortschreiben, die dort auf Jahre hinaus keine anderen Nutzungen zulässt.
Sprechen wir also über Gorleben. Am 22. Mai konzentrierte sich erstmals in der Geschichte die gesamte Kulturelle Landpartie (KLP) auch örtlich auf Gorleben: bei einer Widerstandspartie an den Atomanlagen, dem „wunden Punkt“ der Gorleben-Gegner.
Die Elbe-Jeetzel-Zeitung sprach mit Wolfgang Ehmke von der Bürgerinitiative Umweltschutz über diesen Aktionstag.
Frage: Herr Ehmke, warum gab es eigentlich erst jetzt, im 26. Jahr der KLP, einen solchen Aktionstag in Gorleben?
Ehmke: In der Vergangenheit gab es sehr wohl schon mal derartige Versuche, zum Beispiel das karnevalistische „Fahr in die Höh“ rund um die Endlagerfestung. Samba, Stelzenläufer, Drachen spien Feuer und Flamme, die Polizei war kompakt auf dem Gelände, um eine Platzbesetzung zu vereiteln. Die Zeit, nach Gorleben zu gehen, ist gerade jetzt reif, weil außerhalb des Wendlands, vielleicht noch in Niedersachsen und nur bei wenigen Interessierten, die die Nachrichten verfolgen, der Eindruck entstanden ist, Gorleben habe sich bereits erledigt. Wir werden sogar beglückwünscht für unseren Erfolg!
Frage: Ist es nicht so, dass die KLP-Besucher sowieso über die Gorleben-Frage gut informiert sind?
Ehmke: Keinesfalls, schön wär´s! Ohne die Castor-Transporte und die große mediale Aufmerksamkeit, die wir für unser politisches Anliegen damit jahrelang erfahren haben, ist es schwieriger geworden, über das Atommülldesaster und die aktuellen Entwicklungen bei der Endlagersuche zu informieren. Und dann gibt es da noch die Pilot-Konditionierungsanlage, über die nur noch Insider etwas wissen.
Frage: Was sollten die Besucher unbedingt erfahren über die Gorleben-Anlagen?
Ehmke: Sie sollten wissen, dass eigentlich schon 1983, nach der Auswertung des Tiefbohrprogramms, der Salzstock Gorleben so gut wie aus dem Rennen war. Es gibt den Wasserkontakt, die berühmte „Gorlebener Rinne“, es gibt eine Gasblase unter dem Salzstock und möglicherweise Gaseinschlüsse. Und es gibt die Skandalgeschichte, wie immer wieder die Sicherheitskriterien an die geologischen Befunde angepasst wurden, nur um hier weiter machen zu können. Für uns ist der Salzstock eben nicht nur politisch, sondern auch geologisch verbrannt.
Frage: War der Freitag aus Ihrer Sicht ein Erfolg?
Ehmke: Es wurde deutlich, dass die KLP hier an dem empfindlichsten Punkt, dem wunden Punkt Gorleben, mit dem Anti-Atom-Widerstand verschmilzt, und klar wird, das gehört zusammen. Und ob es ein Erfolg war, liegt ja an den Maßstäben, die man setzt. Für mich ist wichtig, dass die Öffentlichkeit begreift, dass die Atommülldebatte wirklich eröffnet werden muss, dass eine Kommission des Deutschen Bundestages nicht ausreicht, um diese Jahrtausendfrage in zwei Jahren zu beantworten.
Frage: Spielte die Besucherzahl eine Rolle – ähnlich wie die Zahl der Demonstranten bei den damaligen Castor-Transporten?
Ehmke: Na klar.
Frage: Was aber, wenn der Aktionstag floppte, sagen wir mal: nur etwa 500 Besucher sich dorthin verirrten?
Ehmke: Dann hätten wir was falsch gemacht.
Frage: Was denn?
Ehmke: Vielleicht waren wir in der letzten Zeit nicht häufig genug auf der Straße. Aber ich bin mir sicher, das war das Protestereignis des Jahres mit zwei Musikbühnen, Theaterbühne, Essen, Trinken, Kunst, Kultur, Handwerk und Performance. Die große Unbekannte war das Wetter. Im Laufe des Nachmittags und des Abends waren über 8000 Menschen vor Ort, nicht alle auf einmal, aber die Party mutierte zur größten Anti-Atom-Veranstaltung seit dem Castor 2011.
Frage: Könnte womöglich der Eindruck entstehen, dass sich der Widerstand am Freitag vor allem selbst feierte?
Ehmke: Dagegen hätte ich gar nichts. Denn mit dem „Gorleben-Gefühl“ nach Hause zu fahren und dann wieder aufmerksamer zu verfolgen, wie in Berlin mit der Endlagersuche umgegangen wird, wäre schon ein großer Erfolg. Die Zeit für größere Aktionen reift ohnehin in dem Maße, wie deutlich wird, dass man keinen Neustart der Endlagersuche hinkriegt, solange man auf die Fehler der Vergangenheit keinen Deckel drauf macht.