Pressemitteilung der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg e.V.
Vielen Dank, Eckart Spoo!
Vier Tage vor seinem 80. Geburstag starb der Journalist Eckart Spoo. Als niedersächsischer Korrespondent der Frankfurter Rundschau hat er die Gorleben-Geschichte ständig und wachsam begleitet: als investigativer Journalist und Berichterstatter. Unter anderem hat er mitgeholfen, einen ganz besonderen Skandal aufzudecken.
Nach Auswertung der Tiefbohrungen in Gorleben wollte die Physikalisch-Technische Bundesanstalt von Gorleben abrücken, das politische Bonn aber intervenierte umgehend und bestand auf einer Eignungsaussage. Das sollte aber herbe Konsequenzen haben. Spoo hatte am Rande einer Pressekonferenz aufgeschnappt, wie der damalige PTB-Ressortchef, Professor Helmut Röthemeyer, von einem „Maulkorb“ sprach.
Unter der Überschrift „Maulkorb für kritische Wissenschaftler“ schrieb Spoo am 25.7.85:
„Die Bundesregierung hat der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) untersagt, Überlegungen anzustellen, ob als Alternativen zum Gorlebener Salzstock auch andere mögliche Endlagerstätten für Atommüll erkundet werden sollten. Professor Helmut Röthemeyer von der PTB bestätigte am Mittwoch die Existenz dieser Weisung und bezeichnete sie als eine ‚unangenehme Sache‘.“
„Diesen Zeitungsartikel“, so BI-Sprecher Wolfgang Ehmke, „haben wir jahrelang vor Augen gehabt und schließlich haben wir erfolgreich bei der Nachfolgebehörde, dem Bundesamt für Strahlenschutz, einen Antrag auf Akteneinsicht gestellt. Was dann folgte war helle Empörung über diese politische Intervention, die allein das Ziel hatte, Gorleben gegen alle Zweifel an der geologischen Eignung als Endlagerstätte auszubauen. Die vielen Nachfragen mündeten in den Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu Gorleben.“
Vielen Dank, Eckart Spoo!
Dass er unsere Arbeit schätzte, war auch klar. Als der Gorleben-Widerstand 25 Jahre alt wurde, hielt er die Festrede:
Meine Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde (denn im Lauf von 25 Jahren haben sich doch viele freundschaftliche Kontakte entwickelt – nicht wahr?), es war einmal in Nazi-Deutschland ein Offizier für wehrgeistige Führung – ja, so nannte sich das damals: Offizier für wehrgeistige Führung – , der versprach nach dem Krieg: Er werde nie mehr ein Gewehr in die Hand nehmen, andernfalls solle ihm der Arm abfallen. Der sorgte dann für die Wiederbewaffnung Deutschlands, wurde Bundesverteidigungs- und Bundesatomminister. Er hatte sehr enge Kontakte mit denjenigen Großindustriellen, die am Krieg kräftig verdient hatten. Deren Interessen vertrat er wirkungsvoll – auch zum eigenen Vorteil, so daß er, eigentlich Geschichtslehrer von Beruf, schätzungsweise hundertfacher Millionär wurde – und das war damals allerhand. Dieser Minister der Adenauer-Ära war der Haupteinpeitscher des Bundestagsbeschlusses vom 20. März 1958, die damals noch junge Bundeswehr atomar auszurüsten. Die Alliierten waren dagegen, deswegen erwies sich der Beschluß als unausführbar. Aber er wurde nie zurückgenommen.
Als er gefaßt wurde, waren seit Hiroshima und Nagasaki noch keine 13 Jahre vergangen. Damals wurde ich politisiert, wozu u.a. der Aufruf der Göttinger 18 Atomphysiker beitrug. An allen Litfaßsäulen klebten damals Plakate mit der Parole „Kampf dem Atomtod“, unterschrieben vom SPD-Vorsitzenden Erich Ollenhauer und seinen beiden Stellvertretern. Ich beteiligte mich, mußte mir aber eines Tages in Hamburg, wo ich damals studierte, vom dortigen SPD-Landesvorsitzenden Karl Vittinghoff sagen lassen, ich solle mal nicht zu eifrig sein, denn (wörtlich): „Wir machen das alles bloß, um den Kommunisten den Wind aus den Segeln zu nehmen.“ So lernte ich, was ich seitdem immer im Kopf behalten habe: Man darf den Worten von Politikern nicht blindlings vertrauen. Und ich lernte auch, über den Antikommunismus nachzudenken, der für so manche Zwecke dienlich war.
Der anfangs erwähnte Politiker, Franz Josef Strauß, gab sein Ziel einer atomar bewaffneten Bundeswehr nie auf, denn die Atombombe galt ihm als Symbol und Instrument einer Großmacht, die Deutschland werden sollte. Zu diesem Zweck arbeitete er auch insgeheim mit Brasilien, Pakistan, Israel und dem damaligen Rassistenregime in Südafrika zusammen. Sein politischer Gegenspieler im Bundestag war damals der Hamburger SPD-Abgeordnete Helmut Schmidt, der später sein Nachfolger als Bundesverteidigungsminister wurde. Noch später brachte es Schmidt, wozu Strauß es auch gern gebracht hätte: zum Bundeskanzler. Schmidt verhieß dem in München ansässig gewordenen, politisch stark auf Strauß und die CSU orientierten Siemens-Konzern große Geschäfte weltweit, wodurch Deutschland technisch, wirtschaftlich und politisch zur Weltmacht werden sollte: Unter massivem Einsatz öffentlicher Mittel sollten in kurzer Zeit im In- und Ausland hunderte Atomkraftwerke gebaut werden. Deutsche Wissenschaftler, Techniker, Unternehmer, Politiker sollten global für Jahrhunderte die Energieprobleme lösen, und zwar durch den sogenannten Nuklearkreislauf: Verbranntes Uran sollte zu neuem Brennstoff wiederaufgearbeitet werden. Eine wunderbare Technik mit wenig Rohstoffbedarf, wenig Personalbedarf, wenig Staub, wenig Lärm – eine Art perpetuum mobile. So sollte die Technik der Atomspaltung noch viel wirksamer als bei bloßer Verwendung für den Bau von Bomben Deutschland zu einer nie zuvor erreichten Weltgeltung verhelfen.
Angeblich waren gerade eben die Öl-Vorräte der Welt nahezu erschöpft. In Deutschland ließ Schmidt den bedrohlichen Mangel schon mal mit einem autofreien Sonntag demonstrieren. Bald würden alle Lichter ausgehen, so wurden wir wortwörtlich geängstigt, wenn nicht schnell die Stromproduktion auf die Atomspaltung umgestellt würde. Milliarden Subventionen flossen in dieses Projekt, das allerdings, wie man wohl wußte, mindestens einen Haken hatte: Allen Verheißungen von Wiederverwertbarbeit und Nuklearkreislauf zum Trotz fallen beträchtliche Mengen Atommüll an. Hochgefährlich. Geeignet zur Ausrottung ganzer Völker, zur Verwüstung ganzer Kontinente. Wohin damit?
Hier kam ein dritter Politiker ins Spiel, der auch gern mal Kanzler werden wollte, nachdem er es eben zum niedersächsischen Ministerpräsidenten gebracht hatte – nein, ich spreche noch nicht von Gerhard Schröder, sondern von Ernst Albrecht. Am 22. Februar 1977 bot er Helmut Schmidt großzügig Gorleben als Standort des nationalen Nuklearentsorgungszentrums an. Und damit begann die 25jährige Geschichte, über die ich heute Abend sprechen soll.
Aber wie soll ich das machen: in den vielleicht noch 20 Minuten, die Sie mir freundlich zubilligen, eine 25jährige Geschichte würdigen, über die inzwischen ganze Bücher geschrieben worden sind? Wie soll ich all dem gerecht werden, was die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg, die Bäuerliche Notgemeinschaft, die Republik Freies Wendland, die Initiative „X-tausendmal quer“ und all die vielen einzelnen Beteiligten erlitten und geleistet haben? Vielleicht indem ich mich einfach auf diese beiden Punkte beschränke: 1. was die Atomkraftgegner in Lüchow-Dannenberg erlitten, 2. was sie geleistet haben – und leisten. Wobei ich noch vorausschicken muß, daß viele Beteiligte nicht schon immer Atomkraftgegner gewesen waren. Ich selber war nie ein prinzipieller Gegner des technischen Fortschritts – wenn er sozial beherrschbar ist. Was aber die Atomenergie betrifft, so warnte Robert Jungk in eben jenem Jahr 1977 in seinem Buch „Der Atom-Staat“: „Die Gefährlichkeit der neuen Anlagen zwingt Behörden und Industrie zu einem bisher unbekannten Grad von Absicherung. Schon bis jetzt wurden Grundrechte angetastet und bürgerliche Freiheiten mißachtet. Doch das ist erst der Beginn. Neue Methoden der Überprüfung und Überwachung, die bereits vorbereitet wurden, warten auf ihre Anwendung. Eine neue Tyrannei müßte die fast unvermeidliche Begleiterscheinung einer Hochleistungstechnik sein, deren Risiken den unvollkommenen Menschen über den Kopf zu wachsen beginnen.“ Immer wieder mahnte Robert Jungk, die Atomtechnik sei nicht beherrschbar, sondern sie werde uns beherrschen – nein, nicht die Technik, aber die Macht- und Profitinteressen, die über diese Technik verfügen, dieser politisch-militärisch-industrielle Komplex.
Außerdem gab es Gründe für die Annahme, daß die Atomenergie nicht einmal technisch beherrschbar ist – und diese Annahme hat sich im Laufe der 25 Jahre vielfach bestätigt. Die schrecklichste Bestätigung erlebten wir vor 15, 16 Jahren nach dem Reaktorunglück in Tschernobyl. Der damalige sowjetische Staats- und Parteichef Gorbatschow tat diese Katastrophe mit dem kleinen Finger ab (m. E. ein Beispiel für die Verantwortungslosigkeit dieses hierzulande vielumjubelten Mannes. Hier in Deutschland galt nach Tschernobyl die Hauptsorge des Bundesforschungsministers Heinz Riesenhuber „Bestrebungen aus verschiedenen politischen Richtungen zur Emotionalisierung der Bevölkerung gegen Atomkraftwerke“. Noch im Jahr darauf behauptete die Internationale Atomenergiebehörde in Wien, das Unglück habe nur einige wenige Todesopfer gefordert, und das Bundesamt für Strahlenschutz in Salzgitter gab diese dreiste Behauptung kritiklos weiter. Ich war im letzten Herbst in Weißrußland, dem meistbetroffenen Land. Wegen der radioaktiven Verseuchung sind 22 Prozent der Fläche dieses Landes Sperrgebiet. Eine Katastrophe, deren Ausmaß noch heute kaum absehbar ist. Immer mehr Menschen erkranken dort an Krebs, an Leukämie.
Der schon zitierte Minister Riesenhuber sagte damals auch, die Aufgabe bestehe darin, „die Kernenergie weltweit deutschen Sicherheitsstandards anzupassen“. So versuchten deutsche Politiker, das Unglück auch noch für deutsche Export-, Macht- und Profitinteressen zu nutzen. Aber bis heute gibt es wenig Grund für deutsche Selbstherrlichkeit. Die Geschichte der Atomkraftwerke auch hierzulande ist eine Kette von Unregelmäßigkeiten, Störfällen, Pannen – bis in diese Tage, wo wir von einem wochenlang ignorierten Leck im Kühlsystem des Reaktors Brunsbüttel erfahren. Eine Kette auch von Skandalen, die sich mit Namen wie Nukem, Alkem, Transnuklear etc. verbinden. Und eine permanente Geldverschwendung, anschaulich an solchen Milliarden-Investitionsruinen wie Kalkar, Wackersdorf, Hamm-Uentrop usw.
Vieles, was Robert Jungk im „Atom-Staat“ über die Einschränkung von Grundrechten und Demokratie vorhergesagt hat, hat sich inzwischen bewahrheitet – auch und gerade hier in Lüchow-Dannenberg. Mit einigen Stichworten, einigen Beispielen will ich die Methoden in Erinnerung rufen, mit denen versucht wurde und bis heute versucht wird, das Wendland den atomaren Interessen zu unterwerfen:
1. Einschüchterung. Sie begann schon mit den aus der Luft gegriffenen Behauptungen vom Energienotstand, der eintrete, wenn nicht schnell viele Atomkraftwerke gebaut würden, wozu dann auch das Entsorgungszentrum gehöre. Die Einschüchterung mit diesem Katastrophenszenario setzte sich mit der Einschüchterung durch angeblichen wissenschaftlichen Sachverstand fort. Angeblich hatten wissenschaftliche Gründe auch den Ausschlag für den Standort Gorleben gegeben. In Wahrheit hatten die beauftragten Wissenschaftler drei andere Standorte vorgeschlagen, die ihnen geologisch geeigneter erschienen. Albrecht hatte sich aus rein politischen Gründen für Gorleben im äußersten östlichen Winkel Niedersachsens entschieden, abgeriegelt von drei Seiten durch die DDR, wohin bei vorherrschenden Windverhältnissen die Abgase der Anlage wehen würden. Bei dem sogenannten Gorleben-Hearing in Hannover kamen dann zwar kompetente Wissenschaftler aus dem In- und Ausland zu Wort, die intensiv über die geplante Anlage diskutierten, aber verpflichtet waren, kein Wort über den Standort Gorleben zu sagen. Die Einschüchterung mit wissenschaftlicher Autorität gelang immer weniger, weil immer mehr Wissenschaftler Argumente laut werden ließen, die gegen das Projekt sprachen. An ihre Stele trat dann die staatsgewalttätige Einschüchterung.
2. In der Berufung auf die Wissenschaft zeigte sich schon eine zweite Methode: Irreführung. Man sprach z.B. von dem Mehrbarrierensystem, das sicherstelle, daß die heißen hochradioaktiven, hochgiftigen Abfälle für Millionen Jahre in dem Gorlebener Steinsalz eingeschlossen seien. Als sich herausstellte, was kritische Wissenschaftler längst vorhergesagt hatten, daß die geologischen Barrieren im Gorlebener Salzstock schadhaft, also untauglich sind, ging man darüber flapsig hinweg und setzte die sogenannte „Erkundung“ ungerührt fort. Man investierte inzwischen Milliardenbeträge in das Bergwerk und tat immer so, als ob die Eignung des Salzstock als Atommüll-Endlager ergebnisoffen erkundet werde. So schaffte man alternativlos Fakten – und entzog sich dem atomgesetzlich vorgeschriebenen Genehmigungsverfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung. Andererseits diente aber das sogenannte Erkundungsbergwerk bereits als „Entsorgungsnachweis“, wie ihn das Atomgesetz für den Betrieb von Atomkraftwerken fordert.
3. Damit bin ich bei einer dritten Methode: Umgehen und Verbiegen geltenden Rechts im Interesse der Atomwirtschaft – eine permanente leidvolle Erfahrung der Kritiker seit 25 Jahren. Wenn eine Behörde z.B. den Abriß der von Atomkraftgegnern im Wald bei Gorleben aufgebauten Spielgeräten aus Holz betreibt, weil sie angeblich „die natürliche Eigenart des Waldes“ stören, während dort gigantische Betonbauwerke der Atomindustrie entstehen dürfen, dann wird damit das Rechtsempfinden der Bürgerinnen und Bürger verhöhnt.
4. Allerlei freundliche Angebote an den Landkreis, an einzelne Gemeinden und einzelne Politiker: Einladungen zu Reisen, Gelder, von denen sich z.B. der Bürgermeister von Gorleben eine Scheune bauen konnte, bis hin zu den verlockenden 4,10 Mark statt marktüblicher 45 Pfennige pro Quadratmeter für Grundstücke, die die deutsche Gesellschaft für Wiederaufarbeitung von Kernbrennstoffen kaufen wollte – ein auf sechs Wochen befristetes Angebot, mit dem die Eigentümer unter Druck gesetzt wurden. (Übrigens: Alle, die solche milden Gaben bekommen haben, verdanken sie im Grunde den Atomkraftgegnern. Ohne deren Widerstand hätten sich die Industrie und der Staat, der ihr hilft, Widerstand aus dem Weg zu schaffen, nicht so großzügig gezeigt; und z.B. die Gemeinde Gartow hätte ihr Schwimmbad wohl kaum bekommen.
5. Die Methode, die Bevölkerung zu spalten, künstliche Fronten aufzubauen – nach der alten Devise „Teile und herrsche“. Ein bezeichnendes Beispiel war ein Brief, mit dem sich der DWK-Vorsitzende Günter Scheuten per Postwurfsendung an die Bevölkerung des Landkreises wandte. Er sprach darin von „unserem Landkreis“, der gegen Demonstranten verteidigt werden müsse. Scheuten stammte nicht aus Lüchow-Dannenberg, seine Firma saß damals mehr als 100 km entfernt in Hannover. Trotzdem sprach er von „unserem Landkreis“, und er meinte den, den er für die DWK erst erobern wollte. So versuchte er sich einzuschleichen und anzubiedern, um die Bevölkerung von ihren Interessen abzubringen.
6. Verleumdung: Albrechts Wissenschaftsminister Eduard Pestel zum Beispiel verkündete die Erkenntnis: „Kernkraftgegner sind Menschen, die von frühester Kindheit an den Weg zum Neurotiker gegangen sind.“ Der stellvertretende Ministerpräsident Wilfried Hasselmann sprach zackig von „Feinden unserer Rechtsordnung“ – ausgerechnet er, der es mit dem Recht mal so und mal mehr rechts nahm und schließlich wegen seiner Verwicklung in die Spielbankaffäre zurücktreten mußte. Der Lüchower Oberkreisdirektor Wilhelm Paasche sah „kommunistische Gesellschaftszerstörer“ am Werke. Die Bezeichnung „unappetitliches Pack“ stammt vom zeitweiligen Bundesinnenminister Manfred Kanther – dessen Kompetenz für Unappetitliches erwiesen ist, seit er als Parteischmiergeldschieber überführt wurde.
7. Überwachung durch ein privates Wachkommando und geheimdienstliche Bespitzelung, wozu selbstverständlich auch die Anwerbung von Spitzeln gehörte – immer mit der Möglichkeit, daß Spitzel auch als Lockspitzel, als Provokateure eingesetzt werden, wie es z.B. aus der Göttinger Anti-Atom-Initiative bekannt wurde, in der sich zwei Kripo-Beamte als Scharfmacher betätigten. Apropos Kripo: Kaum war eine Kriminalinspektion in Lüchow eingerichtet, sprang die registrierte Kriminalität im Landkreis steil in die Höhe.
8. Während die Atomstaatsfrommen, die Guten auf materielle Vorteile hoffen durften, mußten die bösen Kritiker mit manchen Nachteilen rechnen. So wollte die niedersächsische Finanzbürokratie z.B. der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg nicht den Status der Gemeinnützigkeit zubilligen; Begründung: „Der öffentliche Meinungsbildungsprozeß über den Bau von Atomanlagen ist abgeschlossen.“ Abgeschlossen – und das schon Ende der 1970er Jahre. Die Gemeindeverwaltung Güstritz forderte bei Androhung von 5 000 Mark Strafgeld die Entfernung von Anti-Atom-Plakaten an Privathäusern wegen angeblicher Beeinträchtigung von Sicherheit und Ordnung. Und dann wurden bis heute Strafen über Strafen verhängt, z.B. als Fritz von Blottnitz mit seinem Trecker Bohrfahrzeugen die Ausfahrt versperrte oder als eine Gruppe von Atomkraftgegnern Bohrtürme besetzte. Nicht nur die Geldstrafen für solche symbolischen Akte zivilen Ungehorsams, auch die Verfahrenskosten erhöhten das Risiko jedes atomkritischen Engagements.
9. Also Einschränkung von Grundrechten, namentlich des Versammlungsrechts bis hin zu Aufenthaltsverboten.
10. Verängstigung Bevölkerung, Aufhetzung der Sicherheitskräfte durch Medien, namentlich die in Polizei-Kreisen vielgelesene „Bild“-Zeitung, die z.B. vor der Räumung eines Anti-Atom-Hüttendorfs behauptete, dort seien Molotowcoctails gelagert.
11. Polizeieinsätze in einer Mannschaftsstärke wie nie zuvor in der deutschen Geschichte.
12. Massive Gewalt von Polizei- und Bundesgrenzschutzbeamten, die sich gelegentlich die Gesichter schwarz geschminkt hatten, um nicht identifiziert werden zu können. Gewalt gegen Sachen wie beispielsweise das Zerstechen von Wagenreifen in Splietau, aber auch Gewalt gegen Personen, etwa durch Prügel, durch Stiefeltritte, durch Einsatz von Überdruck-Wasserwerfern oder durch Naßspritzen von Demonstranten bei Minustemperaturen.
13. Gewalt übrigens auch gegen Journalisten, zensurähnliche Angriffe vor allem auf Fotografen, wenn die Presse (nicht nur die „Elbe-Jeetzel-Zeitung) mal gekommen war, um aus unmittelbarer Anschauung zu berichten, statt sich auf die Angaben von Polizeisprechern zu verlassen. Ich selber habe solche Übergriffe z.B. bei der Räumung des Hüttendorfs 1004 gemeinsam mit einem Kollegen dokumentiert.
Genug, ich kann hier nicht alle Methoden aufzählen. Nur eins, was die Atomkraftgegnerinnen und -gegner in Lüchow-Dannenberg erlitten haben, muß noch erwähnt werden: Nämlich wie Politiker ihnen in den Rücken gefallen sind. Ich meine hier nicht den großen Politiker Kurt-Dieter Grill. Den kannte man ja, und es wunderte niemanden, als sich herausstellte, daß der hochbedeutende umweltpolitische Sprecher des CDU-Bundesvorstands und Vorsitzende der sogenannten Gorleben-Kommission mindestens 109 000 Mark von einem Bauunternehmer erhalten hatte, der am Gorleben-Projekt profitierte. Der Staatsanwalt stellte die Ermittlungen wegen Bestechlichkeit mit der schönen Begründung ein, es sei nicht nachweisbar, daß Grill für das Geld etwas getan habe. Und vom Vorwurf der Steuerhinterziehung wurde er freigesprochen, weil er glaubhaft versichert habe, ihm sei nicht bekannt gewesen, daß er für die Einkünfte hätte Steuern zahlen müssen. So gut geht die Justiz mit den Guten um. Das alles überraschte kaum. Aber als Politiker, die sich einmal als Interessenvertreter des Widerstands im Wendland ausgegeben hatten, auf die Gegenseite übergingen, das schmerzte. Erst waren es Sozialdemokraten, die Schritt für Schritt ihre Positionen wechselten, dann auch Politikerinnen und Politiker der Grünen, einer Partei, die aus dem Widerstand gegen Atomanlagen (in Wyhl und im Wendland) herstammte.). Ich sprach über das, was Atomkraftgegnerinnen und -gegner in Lüchow-Dannenberg erlitten haben. Zu feiern aber gilt es heute, was sie geleistet haben.
Sie haben alledem, was ich geschildert habe, widerstanden. Das ist eine große Leistung. Wie stark müssen Menschen sein, die Regierung, Verwaltungsbehörden, Polizei, Geheimdienst, vielfach auch die Gerichte und auflagenstarke Medien gegen sich haben und doch durchhalten.
Woher kommt diese Stärke?
Ich denke, dazu gehört, daß man die Widersprüche im Verhalten der Politiker, die Widersprüche zwischen Worten und Taten, die Ungereimtheiten, das zweierlei Recht wahrnimmt, daß man dieses Dickicht zu durchschauen lernt, daß man hinter allerlei Tarnungen die nackten Interessen erkennt. Daß man Illusionen über die Obrigkeiten abschüttelt. Daß man aus Verantwortung für sich selbst und die Seinen Politik nicht mehr den Berufspolitikern überläßt, sondern selber den Mund aufmacht. Daß man mit Nachbarn, mit Kollegen spricht, daß man Ängste und Erfahrungen, Informationen und Argumente austauscht, daß man öffentlich Fragen stellt und Antworten einfordert, daß man sich nicht abwimmeln läßt, sondern weiter nachfragt und genau hinhört und andere Informationen einholt, um sich Klarheit zu verschaffen.
In einem solchen Lernprozeß sind viele Menschen im Wendland nach und nach zu hochgebildeten Experten geworden, denen man so leicht nichts mehr vormachen kann. Je intensiver sie sich mit der Materie beschäftigten, desto deutlicher erkannten sie die Dürftigkeit, die Mickrigkeit mancher aufgeblasener Autoritäten, die gegen sie aufgeboten wurden. Und es konnte befreiend wirken, solche hochdotierten und mit allerlei Titeln und stolzen Dienstrangbezeichnungen daherkommende angebliche Experten und Entscheidungsträger einfach mal kräftig auszulachen.
Die freien Wenden lernten, komplizierte geologische, chemische, physikalische Zusammenhänge ebenso zu durchschauen wie die geschilderten Herrschaftsmethoden einschließlich aller Juristerei. Sie lernten, noch so wohlklingenden Worten von Berufspolitikern zu mißtrauen, mit dem eigenen Kopf zu denken, sich mit anderen zu gemeinsamen Handeln zu verbünden und sich nicht auseinanderdividieren zu lassen.
Sich zu verständigen und zusammenzuhalten, war schwierig und bleibt schwierig. Kleinbauern, Punks, Autonome, Wissenschaftler, Pfarrer, adlige Großgrundbesitzer, Künstler, Frauen und Männer, Junge und Alte, Eingesessene und Zugewanderte oder auch nur vorübergehend im Landkreise Lebende, Unterstützer von anderswoher, Konservative und Linke. Es gehört viel Klugheit, Umsicht, geduldige Mitmenschlichkeit dazu, einander mit all diesen Unterschieden und Gegensätzen zu ertragen, mehr noch: einander mit diesen unterschiedlichen Eigenschaften und Fähigkeiten sogar schätzen zu lernen. Dabei wurde auch klar: Nicht jeder kann sich an jeder Aktion beteiligen, nicht jeder kann mit Behörden verhandeln, nicht jeder kann noch mit Politikern reden, die ihn schon x-mal enttäuscht haben, nicht jeder kann sich der heranrückenden Polizei entgegenstellen. Aber wenn viele zusammenwirken mit all ihren Fähigkeiten, sind sie zu vielfältigen, großen und schwierigen gemeinsamen, manchmal aber besser getrennten Aktionen imstande. Die Verschiedenartigkeit der Aktionsformen ist eine der größten Stärken des Widerstands im Wendland geworden.
Und was fällt uns da nicht alles ein: die Wiederaufforstung des erstaunlicherweise abgebrannten Waldes über dem Salzstock, das Kaffeetrinken der Frauen vor dem Zwischenlager, der „Tanz auf dem Vulkan“, die Menschenkette von Clenze bis Hitzacker, die vielen pfiffigen Anzeigen in der „Elbe-Jeetzel-Zeitung“, das Radio Freies Wendland, die Speisesalz-Genossenschaft.
Inzwischen geradezu legendär ist der Gorleben-Treck nach Hannover mit zuletzt über 100 000 Teilnehmern, vorbei an der Justizvollzugsanstalt Salinenmoor, wo die fürsorgliche Obrigkeit eigens 80 Haftplätze für erwartete Straftäter freigemacht hatte. In langer Reihe stellten sich Mitmarschierer an die Betonmauer, weil sie gerade mal mußten. In Hannover steht auf dem Weiße Kreuzplatz nach wie vor der große Stein, der damals vor dem Hochhaus, in dem die DWK ihren Sitz hatte, abgeladen wurde. Eine solche Aktion wie damals ist nicht beliebig wiederholbar. Aber den gewitzten Wenden fiel immer etwas Neues ein. Die Kreativität dieser Bewegung ist schier unerschöpflich, und gerade die Freude an ihrer Vielfalt war ein beständiger Kraftquell. Ja, Freude gehörte immer dazu, denn das Nein zum Atomstaat ist ein fröhliches Ja zum Leben.
Immer kam und kommt es darauf an, möglichst viele andere zu überzeugen und mitzunehmen. Aber ob sich nun wenige oder viele beteiligen, immer kommt zuerst und zuletzt auf den einzelnen an, ob und wie er sich beteiligt. Oder auf die einzelne.
Ich habe hier manche Persönlichkeiten kennenlernen dürfen, die mich stark beeindruckt haben. Als eine für alle – auch wenn das gegenüber vielen anderen ungerecht ist – möchte ich Marianne Fritzen nennen, diese nachdenkliche, umsichtige, anderen freundlich begegnende, aber ihnen auch prüfend in die Augen schauende, Worte sorgfältig wägende, einfach, unmißverständlich, überzeugend sprechende Frau. Im Kontrast zu der immer wieder erfahrenen Verlogenheit und dem Zynismus der Gegenseite haben Menschen wie Marianne Fritzen das Bild des Widerstandes geprägt, sind Vorbilder geworden für andere, auch für den Widerstand anderswo. Mit dieser Überzeugungskraft hat der wendländische Widerstand viele gute Freunde nah und fern gefunden.
Eine besonders hervorzuhebende Leistung sehe ich in der engen Zusammenarbeit mit Atomkraftgegnern an anderen Orten, an denen die Atomindustrie Fuß zu fassen versucht. Immer haben die DWK und GNS und Preußen Elektra und Eon – oder unter welchen Namen die Krake sonst noch auftrat – und ihre beflissenen Interessenvertreter in der Politik versucht, die einzelnen Orte gegeneinander auszuspielen. Aber darauf hat sich die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg nie eingelassen.
Von dieser Bewegung sind viele wertvolle Anregungen ausgegangen, demokratisch-bürgerrechtliche Initiativen und kulturelle Aktivitäten (Wunde.r.punkte z.B.). Der ökologische Landbau hat hier wichtige Anstöße erfahren. Ideen für eine alternative Energiepolitik sind hier aufgegriffen und weiterentwickelt worden. Eine weit verzweigte Solidaritätsbewegung hat sich entwickelt, die auch immer wieder gebraucht wird: materielle Solidarität, konkrete Unterstützung mit juristischem, technischem, organisatorischem Sachverstand.
Das Wort „Erfolg“ habe ich bisher vermieden. Aber das alles, was ich genannt habe, sind Erfolge.
Und in der Sache selbst?
Gewiß, es war ein großer Erfolg, als nach dem Gorleben-Treck Ernst Albrecht das Konzept des nationalen Entsorgungszentrums aufgab. Vor allem war es ein Erfolg, daß es immer wieder gelang, klarzumachen, daß hier keine Akzeptanz besteht, was sich ja u. a. an den hohen Kosten für die Polizeieinsätze bei den Castor-Transporten ablesen läßt.
Einen durchschlagenden Erfolg hatten sich viele vor allem von Rot-Grün erhofft. Was herausgekommen ist, der sogenannte Atomkonsens, mag unterschiedlich bewertet werden, der Ausstieg ist es jedenfalls nicht. Mit wem wurde da überhaupt ein Konsens erreicht? Mit der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg wohl nicht. Der Atomindustrie, so scheint mir, ist dadurch auf Dauer keine Möglichkeit abgeschnitten worden. Ich halte es mit denen, die weiterhin und auch gerade in dieser Situation vor Illusionen warnen, vor naiven Hoffnungen auf Berufspolitiker, von denen wir ja wissen, wie sie von ihrem Milieu geprägt werden. Wenn nun ausgerechnet unter Rot-Grün die Transporte nach Gorleben schneller durchrauschen als zuvor und auch immer neue Transporte nach Cap de La Hague rollen, dann kann das schon deprimierend wirken. Aber ich bin sicher: Die freien Wenden wird man nicht in die Resignation treiben. Sie werden sich immer wieder etwas einfallen lassen. Sie wissen ja seit eh und je, daß sie es mit einer gewaltigen Übermacht aufgenommen haben, die immer weiter aufrüstet, mit immer neuen sogenannten Antiterrorgesetzen, immer neuen Ermächtigungen für Polizei und Geheimdienste.
Ich habe einleitend von den Weltmacht-Bestrebungen gesprochen, die sich mit der Energiepolitik verbinden. Damals dachte man an ein baldiges Ende der Ölwirtschaft. Aber auch heute werden Kriege ums Öl geführt, natürlich immer humanitär getarnt, wie schon frühere Kolonialkriege angeblich für die Zivilisation gegen die Barbarei geführt wurden. Da wird um viel Macht gekämpft, um höchsten Profit. Alle Erfahrung lehrt: Solche Interessen gehen auch über Leichen.
Aber auch der größte Koloß kann bekanntlich an kleinsten Fehler in der Statik zerbrechen. Kleine Nagetiere könne stolze Festungen unterwühlen. Ein Schwergewichtsboxer kann über eine Baumwurzel stolpern. Jedenfalls sind seit langem kaum neue Atomkraftwerke mehr gebaut worden – entgegen den damaligen Plänen von Siemens, Schmidt und Albrecht.
Ich freue mich, daß ich den bisherigen 25jährigen Weg des Widerstands in Lüchow-Dannenberg auf manchen Strecken begleiten konnte. Unter diesen klugen, selbstbewußten, fantasievollen Menschen habe ich mich immer wohlgefühlt. Und ich bin dankbar, daß ich heute Abend mitfeiern darf.
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Wolfgang Ehmke
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