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…weil ihr Rosen züchten zu langweilig war…
Als sich die Regierungen in Land und Bund 1973 das Wendland als Atomstandort aussuchten, „haben die gedacht, dies ist nicht nur ein dünn besiedelter Landkreis, sondern auch ein dummer. Da haben sie sich geschnitten“, sagte Marianne von Alemann vor dem Castortransport im März 2001.
Der Gorleben-Widerstand hat viele Gesichter, Marianne war ein ganz besonderes Gesicht. Über Jahre hat sie ihre Stimme für eine strahlenfreie Zukunft erhoben, ihre Stimme ist jetzt erloschen.
Marianne war mit ihrem pensionierten Mann Ende der 70er Jahre vom Rhein in ein Gehöft zwischen Lüchow und Gartow gezogen, um dort einen ruhigen Lebensabend zu verbringen. Schon bald aber füllten aufgeregte Menschen ihr Anwesen, um nächtelang unter den Schwingen eines ausgestopften Bussards Strategien gegen den geplanten nuklearen „Entsorgungspark“ zu entwerfen.
„Die Arroganz der Politiker, die sich nicht scheuen, den nachfolgenden Generationen die Gefahren der Atomkraft zu hinterlassen, ist so erschreckend, daß es über meinen Verstand geht“, erzählte die damals 50jährige Hausfrau 1980 bei Tee und Kuchen in ihrem eleganten Landhaus in Prezier der ZEIT. Mit der Atomanlage habe sich ihr Leben schlagartig geändert: „Wir fangen beim Kaffeetisch morgens mit Gorleben an und gehen abends mit Gorleben ins Bett.“ Statt etwa wie früher in Düsseldorf den Geburtstag im Kreise der Familie mit Kaffee und Kuchen zu feiern, stand sie letztes Jahr an ihrem 50. Geburtstag Straßensperre gegen die Bohrfahrzeuge.
„Oft saßen wir beide abends in die Küche, und die Tränen liefen. Weil die Bürokratie wieder eine Klage vom Tisch gefegt hatte“, erzählte sie im Jahre 2000 dem „Greenpeace Magazin“. Mit einigen anderen war sie als „Die vereinigten Querköpfe“ aus dem Gorleben-Widerstand abgebildet.
Sie hätten fortziehen können, „aber das wäre feige gewesen“, sagte sie damals. Die Alemanns waren im Gegenteil davon überzeugt, sich wehren zu müssen „gegen eine Gefahr für unsere Nachkommen“, waren erfüllt von „einer Aufgabe, bei der wir wussten, wir stehen auf der richtigen Seite“. Außerdem: „Nur Rosen ziehen und Blumenkohl züchten wäre mir zu langweilig gewesen.“
Video: Dirk Drazewski, Gorleben Archiv e.V., gefördert durch die Umweltstiftung Greenpeace Hamburg, aufgenommen im Sommer 2018
Marianne von Alemann beteiligte sich als Mitbegründerin der BI und der Initiative 60 – der Gruppe der Atomkraftgegner über 60 Jahre – immer wieder an den Gorleben-Protesten. Als 1984 der erste Castor rollen sollte, „hat jemand gesagt, es kann nicht sein, dass sich die Jugend davor setzt und 20 Jahre später Krebs bekommt. Das müssen wir Alten machen“, sagte sie 2001 Reportern. Die Ini 60 war gegründet, Marianne über 17 Jahre die Sprecherin. Als 1995 dann der erste Castor kam, „saßen wir mit in der ersten Reihe.“ Doch „dieses Jahr wird das schwierig, wir sind alle über 70 Jahre. Da machen die Knochen Sitzblockaden nicht mehr so mit“, sagte sie bevor im März 2001 der nächste Castor anrollte.
- Gorleben Rundschau 2013: „Alles war plötzlich politisch“ (pdf, Seite 14)
Nach dem Umzug ins Wendland hoffte sie auf ein ruhiges Rentnerinnendasein. Doch dann wurde ihre neue Heimat über Nacht zum Atomklo deklariert, und sie wurde aktiv im Widerstand. Zusammen mit ihrem Ehemann hat Marianne von Alemann die INI 60 ins Leben gerufen. Von Ingrid und Werner Lowin - taz.de – Das Portrait: Die Widerständlerin – Marianne von Alemann (1995)
Fotos: Ingrid & Werner Lowin