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Venedig in Gorleben
Eine schwarze Wand empfing die Besucher des Deutschen Pavillons auf der Biennale de Venezia 2018. Beinahe nahtlos fügten sich die Segmente aneinander – so, wie die Berliner Mauer einst wirkte: undurchdringlich.
Doch beim Hineingehen schieben sich die Mauersegmente auseinander, lassen Durchgänge frei, arrangieren sich zu einem lockeren Ballett schräg versetzter Einzelteile. Die Mauer ist gefallen, ist offen und inzwischen länger als sie zuvor Berlin geteilt hat. Darüber berichtete Marianne Birthler bei der Hörerakademie auf den Sommerlichen Musiktagen in Hitzacker. Das Architekturbüro Graft und Marianne Birthler, einstige DDR-Bürgerrechtlerin und frühere Bundesbeauftragte für die Stasiunterlagen, hatten die Ausstellung „Unbuilding Walls“ (Mauern abbauen) kuratiert.
Auf ihr Projekt „Unbuilding Walls“, diesen deutschen Beitrag auf der Architektur-Biennale in Venedig im vergangenen Jahr, nahm Martin Donat für den Atomausschuss des Landkreises und die Bürgerinitiative Umweltschutz (BI) Bezug, als es um den Rückbau der festungsähnlichen Mauer ging, die das Erkundungsbergwerk in Gorleben bisher umgab: Wir schrieben an den Umweltstaatssekretär Joachim Flasbarth und sprachen mit den Verantwortlichen der Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE). Wir wollten, dass eben nicht, wie in Berlin, dem Drang nachgegeben wird, eine Mauer schlichtweg nur abzureißen und damit ein besonderes Kapitel der deutschen Geschichte möglichst schnell gelöscht wird. Um es in Birthlers Worten, einem Lieblingssatz von ihr, zu sagen: „Das Leben wird vorwärts gelebt und rückwärts verstanden“.
„Unbuilding Walls“ findet derzeit an einem symbolträchtigen Ort der Atomgeschichte, eben in Gorleben, gerade statt – die Bürgerinitiative Umweltschutz hat letztlich erfolgreich dafür gesorgt, dass ein symbolisches Teilstück als Denkmal erhalten bleibt. Vielleicht wird daraus ein besonderes Denkmal für die unsägliche Rolle Gorlebens als einstiges nukleares Entsorgungszentrum. Die Gorleben-Geschichte sollte, zumal der Ausgang dieser Geschichte immer noch ungewiss ist, nicht einfach faktisch und metaphorisch „abgerissen“ und das Wissen darum getilgt werden.
Die Mauerreste, die bleiben, werden wir nutzen, um „rückwärts zu verstehen“, warum es zur Nutzung der Atomkraft in Deutschland kam, warum Gorleben als Atommüllzentrum gewählt wurde und wer wann die Verantwortung für die Tricksereien trug, den politisch und geologisch verbrannten Standort immer wieder über die Runden zu retten: Wenn die Mauer in Gorleben fällt, bleibt zudem die Skepsis, ob damit nur Oberflächenkosmetik betrieben wird, denn das Bergwerk unter Tage wird im Stand-By-Betrieb und Gorleben als möglicher Endlagerstandort erhalten.
Dass der Referentin Marianne Birthler diese Parallelen und der bewusst andere Umgang mit dem Rückbau von Mauern nicht aufgefallen sind oder einer Erwähnung wert waren, zeugt schon von einer großen Abgehobenheit der Veranstaltung in Hitzacker – bedenke stets, das Gute liegt ganz nah: der Gorleben-Widerstand ist ein Gesamtkunstwerk.