Wird das Zwischenlager Gorleben zum Dauerlager?
Zur Veranstaltung am Freitag, 3. Februar 2023 im Dannenberger Ostbahnhof hatte BI-Sprecher Wolfgang Ehmke eine fachliche Einstimmung, einen „Zwischenruf“ verfasst:
Es ist gut, dass die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) auch auf die Zwischenlagerung der hochradioaktiven Abfälle schaut. Es ist nicht ihr originärer Geschäftsbereich, aber die Zwischenlagerung ist das Bindeglied zwischen dem Rückbau der Atomkraftwerke und der Endlagerung des brisanten Nuklearmülls in einem tiefengeologischen Endlager. Und je länger die Endlagersuche dauert, desto länger dauert die Zwischenlagerung. Die Autorin Alexandra Endres hat in der BGE-Zeitschrift „Einblicke“ 16/Dezember 2022 u.a. darauf verwiesen, dass die Lagerzeit in Gorleben bereits 2034 ausläuft, zwei Jahre später erlischt die Genehmigung für das Lager im westfälischen Ahaus.
Wahrscheinlich wurde sie beim Verfassen ihres Beitrags von der Wirklichkeit überholt, aber nicht nur deshalb kann ich ihren Beitrag nicht unkommentiert lassen. Zwischenzeitlich hat die BGE – zunächst in einem internen Diskussionspapier, dann auch „offiziell“ – eingeräumt, dass der ambitionierte Plan, bis zum Jahr 2031 einen Endlagerstandort auszuweisen, nicht gehalten werden kann.
Das vergleichende, wissenschaftsbasierte Suchverfahren nach einem bestmöglichen Endlagerstandort für die hochradioaktiven, hochgiftigen Abfälle wird deutlich länger dauern. Von einer Verzögerung, die 15 oder gar 31 Jahre betragen kann, ist die Rede.
Sehr optimistisch äußert sich in dem Beitrag von Frau Andres Michael Hoffmann, Bereichsleiter Betrieb bei der bundeseigenen Gesellschaft für Zwischenlagerung (BGZ), wenn er von einem 20jährigen Einlagerungsbetrieb ausgeht. Das wird er selbst nicht glauben dürfen, dass die 1.900 Behälter aus den 16 Zwischenlagern der BGZ und dem Zwischenlager, das nicht in deren Geschäftsbereich fällt – in Lubmin/Greifswald – ruckzuck 20 Jahre nach Beginn des Endlagerbetriebs in der Tiefe versenkt werden können.
Würde ein Endlager erst im Jahr 2065 oder 2081 den Betrieb aufnehmen, würde der Betrieb mindestens 30 Jahre dauern, dann müssen die hochradioaktiven Abfälle rund 100 Jahre oberirdisch gelagert werden. Zwischenlager waren aber nur für 40 Jahre genehmigt. Macht euch ehrlich, möchte ich den Verantwortlichen bei der BGE und BGZ zurufen, sprecht es deutlich aus: die Zwischenlagerung ist ein Jahrhundertprojekt.
Das hat Folgen. Es ist fahrlässig, dass Julia Neles vom Öko-Institut in diesem Zusammenhang davon spricht, rein technisch könnten die Abfälle auch über die ursprünglichen Genehmigungen hinaus gelagert werden. Das wäre in einem neuen Genehmigungsverfahren für Gorleben oder Ahaus erst einmal zu belegen. Ihr ehemaliger Chef Michael Sailer, der auch Vorsitzender der Reaktorsicherheitskommission (RSK) war, sagte schon 2018 auf einer Tagung der evangelischen Akademie Loccum: „Ja, die 40 Jahre waren eine Vorgabe der Politik, um den Standortgemeinden von Zwischenlagern zu signalisieren, dass es sich nicht um verdeckte Endlager handelt. Wir (die RSK) haben diese 40 Jahre aufgegriffen, technisch und wissenschaftlich bewertet und keiner der Kommission hat für 60 Jahre unterschrieben! Keiner weiß, wie es in den Behältern aussieht und keiner kennt den Zustand der eingelagerten Brennelemente!“
Vorkehrungen für die verlängerte Zwischenlagerung trifft die BGZ mit einem Forschungsprogramm, das den neuen Anforderungen aus unserer Sicht nur ansatzweise gerecht wird. Bisher will die BGZ keine Castorbehälter öffnen, um reinzuschauen. Michael Hoffmann meint, man solle nicht ohne Not Fachleute einer Strahlenbelastung aussetzen. Nein, das will niemand. Doch das geschieht ferngesteuert, hinter dicken Mauern, die die Strahlung abschirmen. Für diese Forschungsarbeit braucht die BGZ heiße Zellen, damit die Beschäftigten zu schützen. Die gibt es in Deutschland – bisher – nicht.
Gern verweist die BGZ auf ein einmaliges Öffnen eines Castorbehälters in den USA aus dem Jahr 2000, dieser Behälter war 15 Jahre lang befüllt. Aber Fachleute sagen, die „beste Zeit“, um nachzusehen, wie beispielsweise die Hüllrohre im Innern eines Behälters aussehen, sei 30 Jahre Lagerzeit. Und der Fokus müsse sich auf hochradioaktive Abfälle richten mit einem „hohen Abbrand“. Richtig heiß sind beispielsweise die Mischoxid-Abfälle mit einer Plutoniumbeimischung. Was mit den verglasten hochradioaktiven Abfällen, die vorwiegend im Zwischenlager Gorleben abgestellt wurden, ist, das weiß man auch nicht so genau… Bisher wird hier viel gerechnet, aber nichts validiert.
Ein anderer Aspekt, der von Alexandra Endres gar nicht angesprochen wird, ist die Frage, wie diese oberirdischen Anlagen vor „sonstigen Einwirkungen Dritter“, kurz SEWD, geschützt werden können. Das Szenario reicht von Unglücksfällen – wie einem Flugzeugabsturz – bis hin zu terroristischen Attacken, Geiselnahmen und Erpressungen. Nach 9/11 im Jahr 2001 wurden die Sicherungsmaßnahmen Schritt für Schritt, aber sehr zögerlich neu austariert. Bei einigen Zwischenlagern wurden zusätzliche Schutzwände errichtet – nur dass das Böse von oben kommen kann und dass inzwischen, nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine, auch klar geworden ist, dass ein Krieg vor Atomanlagen nicht Halt macht.
In Lubmin/Greifswald wird gerade ein Zwischenlager neu errichtet. Dort soll die Wandstärke 1,80 Meter betragen und dennoch räumt die Betreiberfirma EWN (Energiewerke Nord) ein: „Ebenso sind kriegerische Angriffe durch Streitkräfte anderer Staaten nicht Bestandteil des Schutzkonzepts des Atomgesetzes. Die Abwehr von Gefahren für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik ist Aufgabe der Landes- und Bündnisverteidigung. Dementsprechend kann auch das Szenario „Krieg“ nicht Teil der Überprüfung durch die atomrechtliche Genehmigungsbehörde sein.“
Doch, möchte ich zwischen rufen. Auch wenn dieser Neubau wegweisend ist, weil die hochradioaktiven Abfälle quasi oberirdisch gebunkert werden, wäre eine unterirdische oberflächennahe Verbunkerung der angemessenere Plan, da geht es schon ein wenig in die Tiefe. Das böte auch Schutz vor Raketenangriffen.
Das könnte natürlich dazu führen, sich noch viel länger vor dem notwendigen Schritt, einem Endlager in 600 bis 800 Meter Tiefe zu drücken. Entscheidend ist jedoch, ob die Öffentlichkeit bei der Zwischenlösung – ähnlich wie bei der Endlagersuche – beteiligt wird. Auch wenn es bei der Beteiligung erheblich knirscht. Diesen Plan hat die Politik überhaupt nicht auf dem Schirm.
Am Ende werden all diese Probleme wieder bei der BGE abgeladen, denn die BGE muss ein Behälterkonzept für die Endlagerung entwickeln. Die Anforderungen an Behälter, die 500 Jahre halten müssen, weil sicher zu stellen ist, dass man für diesen Zeitraum die Abfälle notfalls auch wieder bergen kann, hängen letztlich davon ab, ob am Ende der Strahlenmüll im Ton, Kristallin oder Salzgestein endgelagert wird. Was aus unserer Sicht also gar nicht geht: die Castorbehälter, diese Transport- und Lagerbehälter, die zunächst für 40 Jahre Zwischenlagerung geprüft und genehmigt wurden, am Ende als Lagerbehälter zu nutzen. Darauf werden wir achten.
Wolfgang Ehmke, Sprecher der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg e.V.