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„Grimmels Märchen“
So überschrieb 1980 Wolfgang Hoffman in der ZEIT einen Beitrag über Eckhard Grimmel, der die Standortbenennung Gorlebens von Anfang an in Bausch und Bogen verdammte. Der Geographie-Professor aus Hamburg nahm wiederholt Stellung zur Einbahnstraße Gorleben.
Dort sollte nach einem Fingerzeig des niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht (CDU) ein nukleares Entsorgungszentrum errichtet werden. Das Herzstück: eine Plutoniumfabrik. Der Untergrund: ein Salzstock, dort sollten die Abfälle ihre letzte Ruhe finden.
Doch Grimmel fand keine Ruhe mehr. Vor dem Innenausschuss des Deutschen Bundestages am 20. Juni 1984 in Bonn gab er zu Protokoll: Atommüll müsse 10 – 20 Halbwertzeiten von der Biosphäre isoliert werden. Also für „Jahrmillionen“. Er plädierte für einen „detaillierten Vergleich zwischen 1. verschiedenen Endlagerkonzepten (…), 2. Wirtsgesteinen (z.B. Salz, Granit, Ton), 3. Geologischen Formationen (z.B. Salzstöcke, flachlagernde Salzgesteine und 4. Standorten.“ Er prangerte an, dass es nie einen solchen Vergleich gegeben hätte und dass das Abteufen von Schächten bereits begonnen hätte, „obgleich sich bereits zweifelsfrei herausgestellt hat, dass die über Salzstock vorkommenden Tone keine solche Mächtigkeit und durchgehende Verbreitung haben, dass sie in der Lage wären, aus dem Salzstock potentiell austretende kontaminierte Laugen von der Biosphäre fernzuhalten, was auch die PTB und BGR zugeben.“
Die Physikalisch Technische Bundesanstalt (PTB) war zu jener Zeit die zuständige Genehmigungsbehörde und hatte nach Auswertung von Tiefbohrungen sogar vorgeschlagen, auch andere Standorte neben Gorleben zu untersuchen. Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) aber – das schönte Eckhard Grimmel an dieser Stelle – verteidigte lange Zeit das Gorleben-Projekt. Das, was er dort vortrug, war visionär. Jahrzehnte später fand dieses Konzept seinen Niederschlag im Standortauswahlgesetz.
Dann gab es noch den Gorleben – Untersuchungsausschuss. Dort fügte er noch hinzu, Deutschland sei das einzige Land der Welt, das entgegen internationaler Erfahrung am Endlager-Wirtsgestein Salz festhalte. Kein Zeuge hatte sich vor dem Untersuchungsausschuss so dezidiert gegen ein Endlager in Gorleben und überhaupt gegen das Salz als Wirtsgestein für die Aufnahme von hochradioaktiven Abfällen ausgesprochen wie Grimmel. Es gebe nirgends positive Erfahrungen mit Salz, sagte er. Es gebe aber die negativen Erfahrungen in der Bundesrepublik, nämlich mit der ASSE bei Wolfenbüttel und Bartensleben (eher bekannt als Morsleben), dem zu DDR-Zeiten eingerichteten Endlager. Beides Beispiele für havarierende Versuche von Endlagern im Salz. Auch in den USA habe man in New Mexico die Erfahrung von Laugenzutritten gemacht. Grimmel bewertet es als große Torheit hierzulande auf Salzstöcke gesetzt zu haben.
Auf den Punkt brachte er seine Kritik mit einem schönen Bild, das Poster dazu gibt es im Gorleben Archiv: „Über dem Salzstock fehlt auf über 7,5 Quadratkilometern ein schützendes Deckgebirge. Es ist löchrig und teilweise gar nicht vorhanden. Das bedeutet, dass über unterirdische Wasserwege auf Dauer todbringende radioaktive Isotope in die Biosphäre gelangen werden. Deshalb sprechen wir von einem „Atommüllklo mit Wasserspülung nach oben“. Niemand würde so etwas in seinem Haus einbauen, oder?“
Die frühe Häme wie in der ZEIT war zu jener Zeit üblich. Wenn sich aus der Wissenschaftscommunity jemand kritisch zu Gorleben äußerte, wurde er schnell ins Abseits gestellt. Das ging Professor Klaus Duphorn aus Kiel so, der als Quartärgeologe wachsende Zweifel an der Eignung des Salzstocks Gorleben-Rambow hatte. Bei Grimmel lief das in etwa so: Haha, der ist ja nur Geograph. Das war die eine Schmäh. Haha, was er zur Erdbebengefahr sagt, das ist doch absurd.
Eckhard Grimmel hielt an seinen Warnungen fest. Unerschütterlich. Gegenüber der Augsburger Allgemeinen sagte er im Jahr 2011, drei Tage nach dem Beben und der Reaktorkatastrophe von Fukushima, entlang des Rheingrabens habe es in der Vergangenheit Beben gegeben, die auf der Richterskala die Marke 6 überschritten hätten, für die Atomkraftwerke in Deutschland ausgelegt sein mussten.
Die Auswirkungen schätzt Eckhard Grimmel als fatal ein: „Dann passiert das gleiche wie in Japan. Es fällt die Kühlung aus und eine Kernschmelze droht.“ Auch die Explosion eines Reaktordruckbehälters wäre dann möglich. Die Folge: Große Teile Mitteleuropas könnten verstrahlt werden. Durch die Häufung der Atomkraftwerke entlang des Rheins, gerade auf französischer Seite, könnte es auch mehrere Kraftwerke gleichzeitig treffen.
1988 war er als Sachverständiger mit daran beteiligt, dass dem Atomkraftwerk Mülheim-Kärlich die Betriebsgenehmigung entzogen wurde. Der ausschlaggebende Grund für das Bundesverwaltungsgericht: Nicht ausreichende Ermittlung und Bewertung des Erdbebenrisikos berichtete der Spiegel. Soweit zu seinen Verdiensten.
Wir können sagen: Ein Glück, dass Eckhard Grimmel um die Ecke in Bad Bevensen geboren wurde, zur Geomorphologie in der norddeutschen Tiefebene forschte und in Hamburg lehrte – und am Wochenende mit seiner Familie in seinem Elternhaus in Wietzetze viel Zeit verbrachte. Dass immer wieder bereit war, auf unseren Veranstaltungen aufzutreten, sich Zeit für unsere Anliegen nahm. Sich nicht beirren ließ.
Ohne wissenschaftliche Berater wie Eckhard Grimmel wären wir im Gorleben-Widerstand nicht weit gekommen. Übrigens: Wir hatten nach dem „Gorleben-Aus“ im Herbst 2020 die ZEIT angeschrieben und gefragt, ob nicht eine Entschuldigung anstehe. Da gab es keine Antwort.
Eckhard starb am 7. Dezember. Unsere Gedanken sind bei seiner Familie.
Prof. Dr. Eckhard Grimmel promovierte 1971 über „Geomorphologische Untersuchungen in der nordöstlichen Lüneburger Heide“ und war von 1977 bis zur Versetzung in den Ruhestand Professor für Geographie am Institut für Geographie der Universität Hamburg.
Text: Wolfgang Ehmke