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50 Jahre Atom-Widerstand im Wendland
Ende 1973. Im Wendland wurde bekannt, dass bei Langendorf an der Elbe ein Atomkraftwerk gebaut werden sollte. Auf einer öffentlichen Sitzung des Samtgemeinderats Dannenberg Mitte Dezember 1973 wird das Thema nur verschämt aufgerufen, als Änderung des Flächennutzungsplans zugunsten eines „Kraftwerks“.
Die Preußen Elektra hatte bereits begonnen, Land aufzukaufen, Kommunalpolitiker aus Dannenberg hatten sich ins AKW Würgassen einladen lassen und waren es Lobes voll, und die Landesregierung unter dem SPD-Ministerpräsidenten Alfred Kubel unterstützte den Pro-Atom-Kurs.
Im Gespräch mit dem Deutschlandfunk im Jahr 2015 erzählte die damals 91jährige Marianne Fritzen als Zeitzeugin, wie das lief. Sie hat ein Foto von der Sitzung in der Hand.
„Da hinten sitze ich. Und im Vordergrund sitzt mein Mann. Und da oben sitzen die Betreiber. 13.12.1973, Langendorf. Öffentliche Ratssitzung zum Thema: Kernkraftwerk in Langendorf. Mit OKD Paasche und Vertretern der Atomlobby. Frantzen und andere.“ So hat es Marianne Fritzen auf der Rückseite des Fotos notiert. „Unser erster Einsatz – Langendorf, als das Bild gemacht wurde – stand in dem Saal so ein Bauernklavier. Da sind sie reingegangen – die Polizei oder was-weiß-ich-was, damals: der Bundesgrenzschutz vor allen Dingen noch – haben oben den Kastendeckel aufgemacht: ob da nicht eine Bombe versteckt ist. Da sage ich: ´Wir würden uns doch nicht in den Saal hineinsetzen, wenn wir wüssten, dass da eine Bombe drin ist.` Da wurde schon alles durch gesucht. Ist genau wie heute. Da wird auch alles abgesperrt. Dass ich verfolgt wurde, wusste ich – nicht ´verfolgt` in dem Sinn! – sondern von den Leuten vom Verfassungsschutz oder von der Polizei.“
Die Menschen, die zu jener Zeit protestierten, wussten sich zu organisieren. Am 2. Januar 1974 gründeten 30 Anwesende im Ratskeller Dannenberg die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg (BI). Bereits am 19. Dezember 1973 hatten sie eine Anzeige in der Elbe-Jeetzel-Zeitung geschaltet, die von 100 Menschen unterzeichnet wurde.
„Atomkraftwerk Langendorf? das heißt Radioaktivität, verseuchtes Wasser, verseuchte Luft, verödeter Boden, vergiftete Menschen, verkrüppelte Kinder, ANGST.“
Diese Anzeige – einmal abgesehen von Formulierengen, die sehr zeitgeprägt waren – schockierte so sehr, dass aus der Handvoll Bürgerinnen und Bürger und Kunstschaffender, die sich zum Protest zusammengefunden hatten, schnell über 1000 wurden. Der Druck der damals noch nicht als Verein organisierten BI wurde so groß, dass der Gemeinderat Langendorf schließlich die Abstimmung über den Flächennutzungsplan, in dem der Bau eines AKW vorgesehen war, immer wieder vertagte – bis die Preußen Elektra ihr Vorhaben aufgab. Die Pläne für das Atomkraftwerk Langendorf-Brandleben wurden fallengelassen.
An der Elbe zeichnet sich in den 70er Jahren eine in Europa beispiellose Konzentration von Atomkraftwerken ab, berichtete der Spiegel im April 1976 unter der Überschrift »Wehren, versteken, weglopen«. Zu der Zeit war das AKW in Stade (630 Megawatt) schon in Betrieb, im gleichen Jahr noch wurde der Reaktor in Brunsbüttel (770 Megawatt) angefahren, und das Atomkraftwerk Krümmel (1260 Megawatt) östlich von Hamburg stand im Rohbau. Neben Brokdorf waren weitere Bauvorhaben für Atommeiler in der Planung oder im Gespräch: vier an der Oberelbe (neben Langendorf-Brandleben noch Landsatz, Alt Garge und Laßrönne); acht an der Niederelbe (Jork/Lühe, Hetlingen in der Haseldorfer Marsch, Stade, Glückstadt, Brunsbüttel, Marne, Cuxhaven, Neuwerk), zumeist gleich für mehrere Kraftwerksblöcke.
Die frisch gegründete BI Umweltschutz Lüchow-Dannenberg knüpfte Kontakte u.a. nach Wyhl, zwei Jahre später, als es in Niedersachsen bereits um den Bau eines „Nuklearen Entsorgungszentrums“ (NEZ) ging, auch ins Lichtenmoor. Wie wertvoll diese Kontakte waren und wie wichtig der organisierte Zusammenhalt war, zeigte sich bald: Als am 22. Februar 1977 Kubels Nachfolger Ernst-Albrecht (CDU) Gorleben als Standort für das NEZ erklärte, konnte man auf das Wissen der BI-Leute und ihre gute Vernetzung bauen.
Nimmer wäre es möglich gewesen, gleich mit einer Großkundgebung am 12. März 1977 auf diese Pläne zu reagieren. Die BI als gemeinnützigen Verein, einem BI-Büro und allem was dazu gehört, gibt es „erst“ seit März 1977: Am 2. März 1977 gründete sich die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg e. V., dieses Mal im Ratskeller Lüchow, und wird zwei Tage später in das Vereinsregister beim Amtsgericht Dannenberg eingetragen.
Wolfgang Ehmke
Anzeige Archiv EJZ, vielen Dank!
Update: 17.03.2024
https://taz.de/Anti-Atom-Aktivist-ueber-Widerstand/!5989321/