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Auch am Neujahrstag 2023 hat die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg (BI) zum traditionellen Neujahrsempfang am sogenannten Beluga-Dreieck an den Atomanlagen in Gorleben eingeladen. Im Bild: Stellvertretende Vorsitzende der BI, Elisabeth Hafner-Reckers

Elisabeth Hafner-Reckers, die Lebensgeschichte ihrer Eltern und die BI

Elisabeth Hafner-Reckers hat am 22. November 2024 einen Vortrag  Archiv der unveröffentlichten Texte in Groß Heide über die Lebensgeschichte ihrer Eltern gehalten und mehrmals betont, dass diese besondere familiäre Prägung letztendlich mit dazu beigetragen hat, sich in der BI zu engagieren. Wolfgang Ehmke hat nachgefragt.

Du hast öffentlich das erste Mal auf der Kundgebung gegen Rechts in Dannenberg am 25. Januar 2024 über deine Familiengeschichte gesprochen. Wie kam es dazu?

Also, da mein Vater zwei Jahre lang als Mitglied der Bekennenden Kirche Gefangener im KZ Sachsenhausen war, beunruhigen mich natürlich all diese Äußerungen über den angeblichen Schuldkult und die Identifikation mit einem Deutsch-Sein Verständnis, das meistens laut, gröhlend, besserwisserisch und abwertend daherkommt, sehr.  Deswegen habe ich auf der Demo in Dannenberg als Angehörige eines Opfers gesprochen und wurde darauf hin zu diesem Vortrag beim Archiv der unveröffentlichten Texte eingeladen.

Aber was hat diese besondere Familiengeschichte nun aus Deiner Sicht mit der BI Arbeit zu tun?

Das ist wirklich nicht ganz so leicht zu erklären, aber ich versuche es. Diese Leidensgeschichte meines Vaters hat uns als Familie sehr geprägt, es ist Zeit meines Lebens ein gewisses Maß an Misstrauen dem Leben gegenüber, weil die Lebensgeschichte meiner Eltern die Zerbrechlichkeit so vieler ganz selbstverständlicher bürgerlicher Gewissheiten so deutlich macht.

Was meinst Du damit genau?

Meine Eltern zum Beispiel kamen beide aus sehr gut bürgerlichen Verhältnissen, die Familien haben sich immer selbstverständlich als gute Deutsche gefühlt. Meine Großmutter väterlicherseits war national und kaisertreu gesinnt, die Familie meiner Mutter war gemeinwohlorientiert. Diese Eigenschaften Rechtschaffenheit, Anstand, Verantwortungsübernahme für ein auskömmliches Zusammenleben in der Gemeinde, Nachdenklichkeit waren selbstverständlich die Grundlage für ihr Deutsch-Sein.

Mein Vater wurde in einem deutschen Konzentrationslager zusammen mit so vielen anderen Menschen, gedemütigt, geschlagen, mit dem Tode bedroht, letztendlich weil er, wie so viele andere Menschen sich einem Deutschland mit menschlichem Antlitz verpflichtet fühlte. Ehrlich und treu gegenüber den unteilbaren Werten der Menschlichkeit und eines urchristlichen Menschenbildes.

Und was hat dieser Aspekt mit der BI Arbeit zu tun?

Also meine Eltern haben uns vorgelebt, dass ein demokratischer Staat mit einer unabhängigen Justiz ein hohes Gut ist, aber das es trotzdem wichtig ist, sich zu informieren, mit der Fehlerhaftigkeit politischer Entscheidungen zu rechnen und sich für das Allgemeinwohl einzusetzen.
Genau diese Punkte finde ich in der BI-Arbeit, die Teil der Anti-AKW-Bewegung ist, wieder. Meines Erachtens wird leider viel zu wenig darüber gesprochen, was diese Anti-AKW-Bewegung alles für kluge Ideen entwickelt hat und welche Impulse von ihr ausgegangen sind, die vielen von uns das Alltagsleben jetzt schon bereichern. Sie können bei den Herausforderungen, die uns immer knapper werdende Rohstoffe bereiten, helfen.

Kannst Du das einmal konkretisieren?

Denken wir zurück an die Anfänge der freien Republik Wendland, natürlich ging es in erster Linie darum, Gorleben zu verhindern, aber schon damals wurde über eine andere Energieversorgung, eine andere Landwirtschaft und ein anderes Zusammenleben nachgedacht und Impulse umgesetzt. Ein Kriterium im Wendlandpass ist ja bis heute, dass derjenige Bürger:in der freien Republik Wendland ist, der sein Lachen behält. Das Lachen als Ausdruck der Lebenszugewandtheit, einer gewissen Leichtigkeit, gepaart mit dem Willen anzupacken und zu gestalten und sich dabei immer auch am Gemeinwohl zu orientieren.

Da haben wir viel erreicht. Wir als Bürger:innen, die gegen die Atomkraft sind, haben doch die anderen Stromanbieter überhaupt ermöglicht. Es waren doch nicht die großen Firmen, die mit fliegenden Fahnen zu den anderen Stromanbietern gewechselt sind. Nein, das waren wir ganz normalen Bürger:nnen mit einem Gehalt im mittleren bis unterem Einkommenssegment. Genau das gleiche gilt doch für die Entwicklung der Bioläden, wer hat denn da als erste gekauft und sich im wahrsten Sinne des Wortes durch die ersten Brotbackversuche durchgebissen? Das waren doch auch wieder die meisten aus der Anti-AKW-Bewegung. Wir haben bis ins Bankensystem hineingewirkt.  Überall haben sich aus diesen Impulsen tragfähige Konzepte entwickelt, die viele sozialpflichtige Arbeitsplätze ermöglicht haben, viele Solo-Selbstständigkeiten geschaffen haben.

Ich bin entsetzt, wenn diese guten, allgemein menschliche Eigenschaften wie Dankbarkeit dem Leben gegenüber, Rechtschaffenheit, Bescheidenheit, Nachdenklichkeit, Hilfsbereitschaft so übertönt werden, was eine kleine Gruppe lautstark für sich als Deutsch-Sein glaubt, in Anspruch nehmen zu müssen.

Lautes, auf Einschüchterung angelegtes Auftreten, Besserwissertum und Überlegenheitsgefühl gegenüber anderen, dies sollen die einzig wahren deutschen Tugenden sein? Hochmut kommt bekanntlich vor dem Fall und unser Land ist im zweiten Weltkrieg tief gefallen. Es waren genau die Menschen wie mein Vater und so viele andere, die alles dafür gegeben haben, Deutschland vor der Katastrophe zu bewahren!

Viele, viele Vertriebene haben nur Dank von Wohnungsbaugenossenschaften nach dem Krieg ein Dach über dem Kopf bekommen und das war eine Voraussetzung mit Mut und Tatkraft den Neuanfang zu schaffen und das ist gelungen. Keinem der dritten oder Vierten Generation ist doch heute noch das Vertriebenen Schicksal der Vorfahren anzumerken. Also wir haben so viel durch Gemeinsinn in diesem Land geschafft.

Du bist ja gut vernetzt, bist beim Gorlebener Gebet dabei, hast 2023 den Kreuzweg von Gorleben nach Lützerath mit initiiert und bist seit geraumer Zeit stellvertretende BI-Vorsitzende.

Ich möchte durch meine Mitarbeit in der BI und damit in der gesamten Umweltbewegung meinen kleinen Beitrag leisten, dass es unserem Land weiter gut geht. Es ist einfach nur gut, sich zugehörig zu fühlen, zu den vielen anderen Menschen, die jeweils auch mit ihren kleinen Beiträgen zum Gelingen des Ganzen beitragen, ohne großartiges Einzelheldentum und ohne dauernde Überforderung der eigenen Kräfte.

Elisabeth Hafner-Reckers ist stellvertretende Vorsitzende der BI.

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Wolfgang Ehmke

Wolfgang ist langjähriger Pressesprecher der BI.