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Späte Einsicht – Merkels Buch „Freiheit“

Wir schreiben das Jahr 1994, der erste Castor in Phillipsburg wurde beladen, aber es gab große Probleme, die Trocknung im Innern des Behälters dauerte und dauerte, Metallspäne wurden entdeckt, der Primärdeckel klemmte. Schräg gegenüber dem Zwischenlager im Gorlebener Tann hatten wir uns im Hüttendorf Castornix auf den Transport eingerichtet, doch die Pleiten, Pech und Pannen verzögerten den Abtransport in Phillipsburg. Hinzu kam, dass dem niedersächsischen Innenminister Gerhard Glogowski (SPD) in einer rot-grünen Landesregierung immer wieder was einfiel, warum die Polizei den Transport gerade nicht „schützen“ könne (Sommerferien, Hannover-Messe und so fort).

Der Tag X steht an – ein Versammlungsverbot wird erlassen, doch dann gibt es noch einmal eine letzte Atempause, weil das Verwaltungsgericht Lüneburg am 21. November einer Anfechtungsklage gegen die Weisung des Bundesumweltministers an die niedersächsische Landesregierung zur Genehmigung des Transports stattgibt, und die hatte eine aufschiebende Wirkung zur Folge.

Am „Tag der Entscheidung“, am 21. November, treffen sich tausende Menschen auf dem Marktplatz in Lüchow. Aus einer nächtlichen Demonstration in Gorleben wird ein Freudenfest, über 3.000 Menschen feiern vor dem Zwischenlager die ganze Nacht lang ihren „Sieg“. Der erste Castor wurde schließlich am 25. April 1995 via Verladebahnhof Dannenberg-Ost nach Gorleben transportiert.

Angela Merkel, die zu der Zeit Bundesumweltministerin war, besuchte Gorleben im März 1995, fuhr in das Bergwerk ein und sagte dann auf dem CDU-Kreisparteitag im Gildehaus Lüchow zu den Pannen in Philippsburg, das sei wie beim Kuchenbacken, da ginge auch mal etwas Backpulver daneben.

Das bedauert sie in ihrem Buch „Freiheit“ im Nachhinein ausdrücklich. „Meine Worte hatten jedes Einfühlungsvermögen vermissen lassen. Umweltverbände kritisierten mich scharf dafür, jahrelang. Es war ein schweres Versäumnis von mir, diesen Fehler nicht umgehend einzugestehen.“ Ein spätes Eingeständnis, aber immerhin.

Dann kommt sie auf mich persönlich zu sprechen, durchaus anerkennend, denn sie meint, ich hätte ihr Respekt gezollt. Dabei verwechselt sie jedoch die Anlässe. Sie war 1995 kurz vor dem ersten Castortransport vor 40 Jahren nur bei der CDU-Versammlung im Gildehaus Lüchow.

Die Begegnung mit der BI mit Susanne Kamien an der Spitze, Bäuerlicher Notgemeinschaft, dem Lüchower Bürgermeister Kurt Schwarting (CDU), der erklärter Atomkraftgegner war, und Landesbischof Horst Hirschler fand erst am 26. März 1997 im Ratskeller Lüchow statt.

Was dann in ihrem Buch allerdings stimmt: wir hatten durchaus gewürdigt, dass sie in die „Höhle des Löwen“ kam und Angela Merkel war sichtlich beeindruckt von der Runde, mit der sie nun diskutieren würde, weil die gar nicht dem Bild entsprach, das sie vielleicht von Atomkraftgegnerinnen und -gegnern hatte: sehr bodenständige Leute. Was wir ihr mitgeben wollten war natürlich, raus aus der Atomkraft, stoppen Sie den Transport. Wir hatten schlicht auch Angst vor der eskalierenden Polizeigewalt, der zweite Castortransport stand im Mai 1997 bevor.

Was sie nun weggelassen hat, und das erinnere ich sehr gut: als sie presseöffentlich nach dem Treffen etwas sagen sollte, flüsterte sie mir zu, ich solle beginnen, sie hätte einen Black-out. Hab ich dann auch gemacht.

Im Anschluss kam ihre Büroleiterin Beate Baumann auf mich zu uns bedankte sich für die Fairness. Ich habe ihr dann noch einen Regenschirm gegeben und kurz erklärt, warum: Wenn sie die Steintreppe vor dem Ratskeller heruntergehen werde, um wieder abzureisen, dann würde natürlich Mehl und Backpulver durch die Luft fliegen…. So kam es denn auch. Ein paar Eier flogen auch, das braucht man ja zum Kuchenbacken…

Interessant, dass sie sich an ihren Faux-pas erinnert und in ihrem Buch ja deutlich auch zum Atomausstiegsbeschluss steht. In einem Bericht der Elbe-Jeetzel-Zeitung, die das Thema aufgriff , werden weitere aufschlussreiche Details zu diesem Besuch geliefert.

Absurd:  25. April 2025 – „30 Jahre erster Castor“ und das Atommülldilemma ist immer noch nicht gelöst, die 113 Behälter in Gorleben müssen für weitere 80 bis 100 Jahre „sicher“ gelagert werden, oberirdisch. Immer noch die alten Versprechungen.

Foto: Wendland-Archiv

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Wolfgang Ehmke

Wolfgang ist langjähriger Pressesprecher der BI.