Endlagersuche: Gefahren der Öffentlichkeitsbeteiligung
Mit einem Neustart der Endlagersuche soll alles besser werden, was in der Vergangenheit mit der politischen Festlegung auf den Standort Gorleben falsch gelaufen ist. Unter anderem sollen auch die Bürger an dem Auswahlverfahren beteiligt werden, auch um größtmögliche Transparenz zu gewährleisten. Ulrike Donat, Rechtsanwältin aus Hamburg, nimmt Stellung zu den Möglichkeiten, Grenzen und Gefahren der angekündigten Öffentlichkeitsbeteiligung.
„Das Vertrauen in die politischen Eliten ist vollständig erschüttert, keine wissenschaftliche Autorität wird mehr anerkannt, Bürgerinitiativen haben sich in einer Wagenburg verschanzt, die Energiekonzerne stehlen sich aus der Verantwortung. Wer sich ernsthaft mit der Organisation von Bürgerbeteiligung befasst hat, möchte vor einer solchen Ausgangsszenerie davonlaufen.“ (Zitat aus: Leggewie & Nanz, Süddeutsche Zeitung, November 2012).
Gorleben Rundschau: „Was bedeutet hier eigentlich „Öffentlichkeitsbeteiligung“? Wen will die Bundesregierung an was konkret beteiligen?“
Ulrike Donat: „Das ist im Endlagersuchgesetz nicht geklärt. Eine Frage ist, wer die so genannten „stakeholder“, also die Interessenvertreter für bestimmte Interessengruppen, sein sollen. Da sehen wir jetzt ja schon bei der Endlagerkommission, dass nicht „die Öffentlichkeit“ beteiligt werden soll, sondern nur bestimmte, willkürlich ausgewählte Interessengruppen wir Kirche, Gewerkschaften, Naturschutzverbände. Die unorganisierte Öffentlichkeit ist nicht beteiligt, die kulturelle Auswahl ist nach meiner Auffassung engstirnig, denn von den Folgen der atomaren Strahlung sind alle betroffen, nicht nur die, die sich traditionell und organisiert in politische Debatten einmischen und dafür von ihren Organisationen auch noch bezahlt werden. Eine andere, und viel wichtigere Frage ist der Umfang der Mitbestimmung bei Auswahl des Endlagerstandortes und den Sicherheitsfragen der Lagerung. Häufig wird es schon „Öffentlichkeitsbeteiligung“ genannt, wenn die Bevölkerung nur informatorisch angehört wird, etwa über Internetseiten oder bei Informationsveranstaltungen. Eine echte Beteiligung garantiert aber auch Einflussnahme auf das sachliche Ergebnis der Diskussionen. Das geschieht im Allgemeinen über Konsensmodelle oder Vetorechte und nicht durch Mehrheitsabstimmungen. Erst die Suche nach einen echten inhaltlichen Konsens gibt Raum für alle Zweifelsfragen und zwingt zu echten Auseinandersetzungen um Zweifelsfragen mit dem Ziel einer guten, von allen getragenen Lösung jenseits von Machtspielen. Von einem solchen Konzept sind die gegenwärtigen Modelle in der Endlagerdiskussion weit entfernt. Die bisherigen Diskussionen sind zu nah an der Frage von Rechtsansprüchen der Betreiber und zu fern von echten Ansätzen für eine Lösung dieser Vielgenerationenaufgabe atomare Endlagerung. Ziel muss maximale Sicherheit für die nachfolgenden Generationen sein und nicht eine billige Lösung für die Atomkonzerne! Echte Öffentlichkeitsbeteiligung definiert am Anfang in einer gemeinsamen Diskussion gemeinsame Ziele.“
GR: „Wenn plötzlich ganz viele Menschen mitreden, kann das zielführend sein? Denn irgendwo muss der Atommüll schließlich hin.“
Donat: „Beteiligung vieler garantiert die Beachtung der sogenannten „Schwarmintelligenz“: es wird weniger übersehen, und es ist Raum für innovative Ideen. Wir alle haben ja die Erfahrungen aus den Sprecherräten der gewaltfreien Bewegung: Viel weiß viel und kann trotzdem in angemessener Zeit zu Lösungen kommen, wenn es denn gemeinsame Ziele gibt (wie zum Beispiel langfristig möglichst sichere Lagerkonzepte). Die Probleme der Entsorgung von Atommüll sind in der Öffentlichkeit viel zu wenig bekannt. Viele denken schon jetzt, der Müll lagere in Gorleben untertage. Wenn wir in die Vergangenheit schauen, merken wir, dass die Öffentlichkeit – Anwohner, Bürgerinitiativen, besorgte Wissenschaftler, besorgte Bürgerinnen und Bürger, die Bauern – bislang die einzigen Sicherheitsgaranten waren. Politik und Industrie hätten ohne den Widerstand aus der Bevölkerung ganz Deutschland mit Atomkraftwerken zugepflastert und den Müll wie zum Beispiel in der Asse einfach irgendwo abgekippt. Erst die Fragen und der Widerstand aus der Bevölkerung sorgen für verlässliche Sicherheitskonzepte und geben den Generationen der Enkel und Urenkel eine besorgte Stimme. Politik, Industrie und Finanzwelt denken nur kurzfristig! Ziel einer Beteiligung muss es sein, aufzuklären, Zweifel zu äußern, größtmögliche Sicherheit einzufordern. Dabei müssten Beteiligungsformen in Gremien zum Beispiel echten Beteiligungsverfahren mit Druck von außen Hand in Hand gehen. Beide Seiten des Engagements besorgter Menschen dürfen sich nicht spalten lassen. Das ist eine Erfahrung aus 40 Jahren Anti-Atom-Geschichte. Nur heute reicht es leider nicht mehr, Verhinderungspolitik zu betreiben, denn der Müll ist da. Er muss raus aus den Zwischenlagern – da kann er nicht bleiben! – und es braucht Lagerungskonzepte, die nicht an den Kosten, sondern an Sicherheit ausgerichtet sind. Wer, wenn nicht die kritische erfahrene Anti-Atom-Bewegung könnte hierfür verlässlich und vertrauenswürdig einstehen und die richtigen Fragen und Forderungen stellen?“
GR: „Atommüll-Endlagersuche ist derart komplex, dass viele Menschen, die keine Experten sind, gar nicht mehr überblicken, worum es im Detail am Ende geht. Damit werden sie sich vermutlich nicht beteiligen können. Wie kann dieses Problem gelöst werden?“
Donat: „Ja, das ist ein Riesenproblem. Es ist komplex, und es ist sehr bedrohlich – da wenden wir uns lieber ab. Aber eine derartige Menschheitsaufgabe kann nicht von einigen wenigen, womöglich noch wirtschaftlich Interessierten, entschieden werden. Wir haben das weitere Problem, dass es auch fast keine unabhängigen Wissenschaftler und Berater gibt und dass die Atomindustrie viel Geld investieren kann, um ihre Lösungen als die angeblich besten zu verkaufen. Aber nur wenn wir Modelle immer wieder und wieder diskutieren, nur wenn sich viele beteiligen, nur wenn Informationen breit gestreut werden, können wir die Verantwortung gegenüber den nachfolgenden Generationen übernehmen. Es braucht integere Menschen und Informationszugang, es braucht auch Geld für die Beratung und Unterstützung der „Laienvertreter“, und es braucht auch Geld für Zeitaufwand und Freistellung der Delegierten. Ich bin überzeugt, dass nur maximale Diskussion und maximale Offenheit überhaupt halbwegs taugliche Lösungen hervorbringen kann. Und ich weiß andererseits, dass auch Politiker, die bislang darüber zu entscheiden haben, die komplexe Materie nicht genug verstehen, um darüber zu entscheiden. Machthaber delegieren gerne die Entscheidung an „Unterabteilungsleiter“, damit sie hinterher nicht für schlechte Entscheidungen auf ungenügender Informationsbasis geradestehen müssen. Oder sie haben – wie in der Vergangenheit – im Zusammenwirken mit Bundesinstitutionen wissenschaftliche Ergebnisse geschönt und gefälscht, um ihre wirtschaftsorientierten Entscheidungen in der Öffentlichkeit zu rechtfertigen. Nur mit einer wirklich breiten Beteiligung, Informationsaustausch, Diskussion kann man die Entscheider in eine fundierte Verantwortung zwingen.“
GR: „Wie können wir uns vorstellen, was die Bundesregierung nun „anders“ machen will als im Fall Gorleben. Soll es wie beim „Gorleben Dialog“ im Internet Videos der Debatten geben, die sich jede/r interessierte Bürger live anschauen darf? Oder gibt es eine ganz neue Idee?“
Donat: „Sinnvolle Konzepte sind mir bisher wenig bekannt. Es gibt einige Partizipationsspezialisten, die sich hierüber Gedanken gemacht haben, aber es ist ein innovatives Projekt wegen der schwierigen wissenschaftlichen Fragen, der Komplexität des Themas und der ungeheuren Langfristigkeit der zu findenden „Lösung“. Man muss den Atommüll ja gut – mit guten Informationen! – weitergeben von Generation zu Generation. Es gibt andere, die oberflächliche Ideen von Beteiligung haben, etwa aus der Diskussion um Umgehungsstraßen oder Altlastensanierung, aber das, was jetzt erarbeitet werden muss, sprengt jeden bisher bekannten Rahmen. Meine Kriterien sind: echter Einfluss auf das Ergebnis, freie Information, unabhängige Moderatoren (gegebenenfalls ein Team aus verschiedenen Gruppen und Schulen), ein Vertreter der künftigen Generationen mit Vetorechten, um nur einige zu nennen. Die bisherigen Internetkonzepte waren ein netter Ansatz, aber absolut unzureichend gestaltet, vor allem war es nur eine Meinungsabfrage statt echter Beteiligung, reine Augenwischerei. Es ist zum Beispiel auch eine echte Kunst, Rückmeldungen der Beteiligten so zusammenzufassen und die weitere Diskussion zu steuern, dass sich alle wirklich verstanden fühlen. Das kann nur ein multilateral zusammengesetztes Moderatorenteam leisten. Die Moderator/-innen müssen viel Konflikterfahrung haben, um in dieser Komplexität einerseits alle Beteiligten wirklich zu beachten, andererseits die zwangsläufig auftretenden Spannungen zu halten. Eine solche Moderationsaufgabe darf nicht dem Billigsten übertragen werden, sondern verlangt neue Konzepte von den Beteiligungsprofis, gegebenenfalls in Zusammenarbeit. Viele Partizipationsprofis kennen zum Beispiel die Lug und Trug-Geschichten der Atomgeschichte gar nicht und gehen daher zu naiv an die Aufgabe heran.“
GR: „Gibt es vergleichbare Beispiele von ähnlicher Tragweite, bei denen Öffentlichkeitsbeteiligung funktioniert hat?“
Donat: „Nein, dieses Projekt ist einmalig. Aber deswegen ist es auch eine Chance für neue politische Konzepte des Miteinanders. Atommüll darf nicht weiter hin- und hergeschoben werden – wir, das heißt die ganze Gesellschaft, müssen ihn verantwortlich verwahren. Diese Aufgabe muss zeitnah gelöst werden, denn nach dem Ende der Atomnutzung verfällt das Wissen rasch, das Geld verschwindet, die Strahlung bleibt. Wir können uns nicht davonstehlen. Es gibt allerdings Erfahrungen aus anderen Ländern – zum Beispiel der Schweiz –, die ausgewertet werden und aus weniger komplexen Projekten – zum Beispiel bei Großflughäfen –, die weiterentwickelt werden müssen.“
Das Interview führte Jan Becker, erschienen in der Gorleben Rundschau, Ausgabe März/April 2014