Presseschau zu Gorleben
Die Aufregung um Gorleben und womöglich unter Kohl geschönte Studien sei vor allem eine Sache des Wahlkampfs, meinen Leitartikler. Dass die Große Koalition in der Endlager-Suche Jahre verstreichen ließ, sei der größere Skandal. Das sehen ein wenig anders. Wir machen keinen Wahlkampf. Aber die Chance, jetzt endlich, nach 25 Jahren klar Tisch zu machen, die ganze Trickserei um Gorleben aufzudecken, die nutzen wir. Hier eine – unkommentierte – Presseschau.
«Landeszeitung» (Lüneburg): Zweck heiligte die Mittel
Der Zweck heiligt im Allgemeinen die Mittel. Kein Wunder also, dass Politiker schon in der Ära Kohl eine unheilvolle Allianz mit der Atomindustrie eingegangen sind. Die Devise lautete: Das Wendland ist schön grün, noch schöner dünn besiedelt und hat dazu einen Salzstock, in dem sich die eine Million Jahre lang strahlende Hinterlassenschaft deutscher Kernkraftwerke verstauen lässt. Abweichende Expertenmeinungen waren unerwünscht. Genauso wie die nun ans Licht gekommenen Berichte über die angeblich geschönten Dokumente bei Union und FDP unerwünscht sind. Schließlich ist Energiepolitik eines der wichtigsten Wahlkampfthemen. Zwar drängt sich die Frage auf, warum erst kurz vor der Wahl 26 Jahre alte Akten auf den Tisch kommen. Doch die Antwort fällt leicht: Eben weil der Zeitpunkt günstig ist.
«Badische Zeitung»: Beide Haltungen einseitig
Die damalige Bundesregierung war so fixiert darauf, ihr Atomprogramm durchzusetzen, dass sie Skrupel und Anstand über Bord warf, Wissenschaftler unter Druck setzte und die erwünschten Ergebnisse von Gutachten gleich selbst diktierte. Dieses Fehlverhalten holt die Politik in Bund und Ländern heute ein. Denn es diskreditiert den Standort Gorleben so sehr, dass die Gegner einer Endlagerung dort den Spieß umdrehen können. Anstatt sich wie früher einseitig auf Gorleben festzulegen, soll der Salzstock nun genauso einseitig für alle Zeiten als Endlager ausgeschlossen werden. Während die einen auf diese Weise schlicht den eigenen Kirchturm verteidigen, gilt anderen das Nein als effektivstes Mittel, den Atomausstieg zubeschleunigen. Kein Endlager, bald auch keine Atomkraft mehr – dass auch dieses Kalkül angesichts der vorhandenen Atommüllberge empörend verantwortungslos ist, schert wenige.
«Dithmarscher Landeszeitung»: Vertrauen endgültig verschwunden
Die Atomkraft in Deutschland ist inzwischen für alle Zeiten diskreditiert. Dazu bedarf es gar keiner Enthüllungen über Gefälligkeitsgutachten mehr. Der Regierung Kohl muss man ohnehin im Nachhinein nicht nur wegen der Spendenaffäre alles zutrauen. Viel größer ist die Gefahr, dass AKW-Betreiber mit ihren Kraftwerken umgehen wie mit der Verwaltung von Dixie-Klos. Dies lässt die Wahrscheinlichkeit gegen null sinken, auch nur im Ansatz über eine Renaissance der Atomkraft in Deutschland nachzudenken. Selbst wenn man der Atomkraft aufgeschlossen gegenübersteht. Weder Politik noch Wirtschaft wird es jemals gelingen, das Vertrauen der Bevölkerung in die Kernenergie wiederherzustellen.
«Badische Neueste Nachrichten»: Gesellschaftliches Problem
Die Politik muss allerdings viel dringender in die Zukunft schauen. Zu klären ist, wie es in Deutschland gelingen kann, die verfahrene Situation um ein Endlager zu retten. Es wird ohne eine kluge Einbindung aller gesellschaftlicher Kräfte nicht gehen – auch Bürgerinitiativen und Protestgruppen müssen beteiligt werden. Das Ergebnis eines solchen Einigungsprozesses wird weit über die ohnehin schon schwierige Materie Atompolitik hinausweisen: Denn sie betrifft generell die Frage, wie moderne Technik in diesem Land mehrheitsfähig gemacht werden kann.
«Südwest Presse» (Ulm): Armutszeugnis bei Endlager-Suche
Die Suche nach einem geeigneten Endlager für Atommüll ist die große Koalition in den letzten vier Jahren keinen Schritt vorangekommen. Das ist ein Armutszeugnis, denn Union und SPD hatten sich im Herbst 2005 gegenseitig versprochen: Wenn wir uns schon bei der Frage der künftigen Nutzung der Kernenergie nicht einigen können, wollen wir wenigstens das Problem der Entsorgung anpacken. Ein Skandal indes bleibt, dass die Koalition ihr Versprechen, das Endlager-Problem einer Lösung näherzubringen, nicht gehalten hat. Ob die schwarz-gelbe Regierung Kohl einst das Gorleben-Gutachten manipulieren ließ, ist sicher keine Nebensächlichkeit. Aber mitten im heißen Wahlkampf ist das objektiv kaum aufzuklären.
«Kieler Nachrichten»: Als trage Merkel die Verantwortung dafür…
Ausgerechnet zwei Wochen vor der Bundestagswahl wird bekannt, dass die
Kohl-Regierung vor 26 Jahren ein Gutachten zur Endlagerung von Atommüll frisiert haben soll. Nicht einmal die eifrigsten Trecker-Demonstranten von Gorleben können da an einen Zufall glauben. Umweltminister Gabriel zieht im Anti-Atomwahlkampf alle Register. Jetzt soll sich die Kanzlerin gar von ihrem Vorvorgänger Kohl distanzieren. Wegen einer angeblichen Manipulation, und überhaupt. Als trage Merkel, damals noch auf der anderen Seite der Mauer, Verantwortung dafür, dass aus dem Atommüllendlager Gorleben trotz jahrzehntelanger Erkundung nichts wurde weder mit noch ohne geschönte Gutachten.
«Märkische Allgemeine»: Neue Suche dauert wieder Jahrzehnte
Wenn man ein Mindestmaß an Akzeptanz schaffen will, darf an der Fundiertheit von Gutachten kein Zweifel bestehen. Insofern sollten gerade Union und FDP als Befürworter verlängerter Restlaufzeiten daran interessiert sein, Expertisen nicht in den Verdacht politischer Mauscheleien kommen zu lassen. Die Forderung des Niedersachsen Sigmar Gabriel, neben Gorleben weitere Standorte zu erkunden, ist sogar plausibel, schließlich ist eine Entscheidung im Grunde nur möglich, wenn man mehrere potenzielle Endlager vergleichen kann. Einziger Haken: Bis neue Standorte so intensiv erkundet wären, wie Gorleben es schon heute ist, würden noch einmal Jahrzehnte vergehen. Bis dahin steht der bereits vorhandene Restmüll in einfachen Lagerhallen herum. So recht wohlfühlen kann sich dabei auch niemand.
«Stuttgarter Zeitung»: Fehler der Vergangenheit rächen sich
Das Vertrauen der Bürger, dass diese Partei [die Union, d. Red.] alles Nötige tut, um die Sicherheit des Endlagers zu gewährleisten, lässt sich so nicht aufbauen. Der Union bleibt nichts anderes übrig, als andere Standorte in die Endlagersuche einzubeziehen. Es mag sie ärgern, dass der nimmermüde SPD-Wahlkämpfer Sigmar Gabriel auch auf Tricks zurückgegriffen hat, um diese Erkenntnisse zutage zu fördern. Aber in der Hauptsache rächen sich jetzt Fehler der Vergangenheit.
«Westdeutsche Zeitung»: Aufregung verfliegt nach der Wahl
Nach der Wahl wird die Aufregung schnell wieder verfliegen. Gorleben scheint tot, neue Standorte müssen geprüft werden. 2026, so will es der Umweltminister, soll der Bundestag entscheiden, 2040 das Endlager in Betrieb gehen. Aber was sind schon drei Jahrzehnte für ein Erbe, das dann 100.000 Jahre vor sich hin strahlt?
«Süddeutsche Zeitung»: Abhängige Forschung
Die Genese von Gorleben ist kontaminiert von Anfang an. Schwarz-gelbe Regierungen hofften, dass Gras über die Altlast wachsen würde…Alles nur Wahlkampf? Das auch, aber das Offenlegen der Tricksereien um Gorleben ist zudem ein Gebot der politischen Hygiene.
Quelle: www.netzeitung.de, 10.09.2009