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Weltweites Phänomen: Warum NGOs immer mehr unter Druck geraten
Die organisierte Zivilgesellschaft ist autoritären Regimen schon lange ein Dorn im Auge. Wie sieht es in demokratischen Systemen aus?
Nichtstaatliche-Organisationen (NGOs, Non-Governmental-Organizations) und ihre globalen Netze entstehen oft aus einer latenten Empörung gegen gesellschaftliche Missstände oder machtförmige, staatliche Verhältnisse. Durch ihre organisierten Strukturen können sie langsam oder auch plötzlich zum politischen Protest mobilisieren, vor dem die Herrschenden und politischen Entscheidungsträger durchaus Respekt haben. Große Mobilisierungswellen und Demonstrationen sind von den Machthabern ungern gesehen, weil sie deren politischen Ziele unterlaufen könnten. Entsprechend groß ist der Gegenwind, den NGOs zu spüren bekommen; insbesondere dann, wenn der Protest wirkmächtig wird – und sich etwa in Wahlergebnissen niederschlagen könnte.
Die Empörten sind aber auch permanent mit den Zwängen der gesellschaftlichen Verhältnisse konfrontiert, in denen sie sich bewegen. Mehr Liberalismus etwa bedeutet für NGOs, dass ihr Bewegungsspielraum und der Kreis der Adressaten ihrer Politik größer werden; weniger davon bedeutet, dass sie sich verstärkt auf kleinteilige, praktische Programme konzentrieren. Wenn auch diese Programme unter Druck geraten, etwa indem ihnen die Legitimation oder Gemeinnützigkeit abgesprochen wird oder die staatliche Unterstützung eingestellt wird, steht nicht nur die politische Idee der Zivilgesellschaft infrage, sondern ein wesentlicher Grundpfeiler, auf dem die wehrhafte Demokratie beruht.
Der Kampf für soziale und ökonomische Gerechtigkeit, für Ökologie und Nachhaltigkeit oder neue Lebensstilformen ist ebenso wie die außerparlamentarische Kontrolle von Macht und Herrschaft eine Kernaufgabe der Zivilgesellschaft, die aus gutem Grund nicht den inhaltlichen Logiken von Staat und Markt folgt. NGOs als Teil der Zivilgesellschaft stellen politische wie moralische Forderungen auf und vertreten den Anspruch nach öffentlichen Anliegen, die über die spezifischen Interessen bestimmter gesellschaftlicher Gruppen wie Parteien, Bauernverbände oder Religionsgemeinschaften hinausreichen. Insofern erweitern sie das Feld gesellschaftlicher Themen um zivilgesellschaftliche und gemeinnützige Belange.
Der zivilgesellschaftliche Protest gegen Rechtsextremismus, die deutsche Migrationspolitik, die Kohleverstromung, gegen die Massentierhaltung, den motorisierten Individualverkehr oder gegen Plastikmüll und Umweltverschmutzung stellt eine gesellschaftliche Bereicherung dar. Die skandalisierten Themen oder der zivile Ungehorsam laufen den Interessen der Machthaber oder der Privatwirtschaft aber zuwider. Wird der daraus entstehende Konflikt zivil und mit Argumenten ausgetragen, trägt er zur Stärkung der Demokratie bei. Wird der Konflikt dagegen machtvoll, von oben durch Regierungshandeln unterdrückt oder NGOs eingeschüchtert, drohen der Gesellschaft anti-demokratische Entwicklungen. Letzteres ist längst zu einem globalen Trend geworden.
Zunehmender Autoritarismus
Schon seit langem lässt sich ein neuer anti-zivilgesellschaftlicher Autoritarismus feststellen, der sich in den internationalen Organisationen wie auf Staatenebene negativ auf die Handlungsspielräume und die Wirkmacht von NGOs auswirkt. Dabei spielen die globalen Rahmenbedingungen eine wichtige Rolle. Der in den 1990er-Jahren gestärkte Multilateralismus, in dessen Rahmen die Staatengemeinschaft nach gemeinsamen Lösungen für globale Probleme suchte, hat zu einem Erstarken der Zivilgesellschaft geführt. Keine Konferenz der Vereinten Nationen fand seit den 1990er-Jahren mehr ohne eine umfassende Beteiligung von NGOs statt.
Der Multilateralismus wird aber schon lange wieder von einer Re-Nationalisierung der Politik abgelöst, in der nationalstaatliche Einzelinteressen überwiegen. Diese Entwicklung findet im Transaktionismus von US-Präsident Donald Trump zwar seine mehr als besorgniserregende antidemokratische Zuspitzung. Schon zuvor aber wurde es über die Jahre hinweg immer schwieriger für NGOs, sich bei internationalen Konferenzen Gehör zu verschaffen. Im Zuge dessen, dass nun auch die Vereinten Nationen, die Weltgesundheitsorganisation oder der Internationale Strafgerichtshof geschwächt werden, wird auch die Rolle der NGOs in der Weltpolitik weiter eingeschränkt.
Dabei muss bedacht werden, dass die Möglichkeiten der Mitsprache und Einflussnahme von NGOs weltweit rechtlich nur schwach abgesichert sind. Aber nun geraten NGOs zudem in eine kraftvolle Doppelzange aus internationaler und nationaler Interessenpolitik. Vor allem von autoritären Regimen werden sie als Gefahr für die Souveränität des Nationalstaats gesehen. Insbesondere die ausländischen NGOs sind für sie ein Dorn im Auge, da diese die einheimische Zivilgesellschaft stärken. In China, Kambodscha, Indien, der Türkei oder in Ungarn werden NGOs und auch Stiftungen von staatlicher Seite gegängelt, diffamiert und kontrolliert. Manche Regime wollen die Einmischung in die inneren Angelegenheiten durch die „ausländischen Agenten“, wie NGOs in Russland oder Malaysia bezeichnet werden, unterbinden und den Geldfluss, der ins Land kommt, kontrollieren.
Durch die antidemokratischen Krisentendenzen aus Autoritarismus, Populismus und Rechtsextremismus, der sich immer weiter ausbreitet, wird der Ton gegenüber den NGOs noch einmal erheblich rauer. Es droht die Gefahr, dass deren Handlungsspielräume eingeschränkt werden (shrinking spaces) oder zivilgesellschaftliches Engagement auf nationaler wie auf internationaler Ebene gänzlich unmöglich wird (closing spaces).
Eingeschränkter Handlungsspielraum – auch in Deutschland
Diese Entwicklungen lassen sich nicht nur in autoritären Regimen feststellen, sondern auch bei demokratischen Regierungen; und das schon seit einiger Zeit. In Deutschland wurde beispielsweise auf die Deutsche Umwelthilfe (DUH) erheblicher Druck ausgeübt, seit sie den Abgasskandal ins Rollen gebracht hat. Sie hat öffentlich gemacht, dass weder das Ministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVi) noch das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) ihre Kontrollfunktion in der erforderlichen Weise ausgeübt haben.
Den transnational vernetzten NGOs Attac und Campact wurde vom Bundesfinanzhof die Gemeinnützigkeit abgesprochen, weil sie zu politisch agieren würden; als ob NGOs dem unsinnigen Gebot einer politischen Neutralität unterliegen würden. Das Kampagnen-Netzwerk sieht insgesamt das politische Engagement zivilgesellschaftlicher Organisationen in Deutschland stark eingeschränkt und bedroht. Im Zusammenhang mit einer Protestaktion von Greenpeace, bei der Farbe vor der Siegessäule in Berlin verteilt wurde, durchsuchte die Polizei zahlreiche Büroräume und Wohnungen der NGO.
Die kleine Anfrage der CDU/CSU, die anklagend und unterschwellig sogar aggressiv die Legitimation ganz unterschiedlicher zivilgesellschaftliche Organisationen in Zweifel zieht, reiht sich ein in diese Liste. Es sind keine Einzelfälle mehr. Und der antidemokratische Trend zur Einschränkung des zivilgesellschaftlichen Engagements könnte sich weiter verschärfen; auch weil das Vorgehen des Anti-Demokraten Trump gegen Einrichtungen der Zivilgesellschaft als erfolgreiches und richtiges Modell angesehen wird, das zum politischen Nacheifern anregt, um Geld zu sparen und staatliches Handeln vermeintlich besser zu performen.
NGOs – Stütze der Demokratie
Wenn Staaten vom Multilateralismus abrücken und sich untereinander in der Handels-, Finanz- oder Sicherheitspolitik in Auseinandersetzungen und Konkurrenzkämpfe verstricken, finden politische Entscheidungsprozesse oftmals hinter verschlossenen Türen und ohne Einbindung der Bevölkerung statt. Wenn sich politische Auseinandersetzungen wie etwa in der Migrationsdebatte zuspitzen, können NGOs als Ventil wirken, durch das der Empörung Ausdruck verliehen wird. Demonstrationen, Proteste oder Kampagnen, die oft zeitgleich an vielen verschiedenen Orten stattfinden, sind die Reaktion auf die unzulängliche Transparenz und Bearbeitung der Krisen, mit denen breite Teile der Gesellschaft nicht einverstanden sind. Die Protestformen haben den Vorteil, dass sie die Hürden für die politische Teilhabe deutlich herabsetzen.
NGOs tragen zur Herausbildung einer lebendigen Öffentlichkeit bei und bringen verdrängte oder neue Themen auf die politische Agenda, die sie mit Professionalität und Expertise – als Advokaten, Helden und Experten – vertreten. Wenn Themen unterrepräsentiert sind, treten immer wieder auch neue zivilgesellschaftliche Akteure auf die Bühne der Politik, wie die transnationale Bewegung Fridays for Future gezeigt hat, die 2019 aus einem Kreis klima- und politikinteressierter Schülerinnen und Schülern heraus entstanden ist. Solche Bewegungen fordern Partizipation an politischen Entscheidungen, die Rechenschaftspflicht der Entscheidungsträger und die Transparenz der Entscheidungsfindung im Nationalstaat wie auch in internationalen Organisationen ein.
In Zeiten von erstarkendem Rechtsextremismus, von Populismus und Autoritarismus kann deren Bedeutung für die Verteidigung der Demokratie nicht groß genug eingeschätzt werden. Im Idealfall bilden sie ein gesellschaftliches Korrektiv gegen Vermachtungsprozesse. Die Beendigung von Kriegen, der Abbau von Ungerechtigkeiten, patriarchaler Herrschaft, Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörungen waren schon immer in ihrem Fokus. NGOs sind zwar selbst in Widersprüche mit den staatlichen Strukturen und wirtschaftlichen Interessen verwickelt, sie machen aber auch deutlich, dass die Selbstregierung des Volkes über die Grenzen von Staat und Markt hinausweisen.
Achim Brunnengräber ist Politikwissenschaftler am Fachbereich Politik- und Sozialwissenschaften der Freien Universität Berlin.
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