Bure [byːr]

Gorleben ist überall, in Frankreich heißt es Bure

Im südlichen Lothringen liegt mit seinen knapp 100 Einwohnern das beschauliche Dörfchen Bure in einer Kulturlandschaft, die mit einer Bevölkerungsdichte von sechs Einwohnern pro km² diejenige des Wendlandes (40) noch weit unterschreitet. Gut 140 km sind es bis zur deutschen Grenze im Saarland. Und hier, so wurde vom Staat entschieden, soll das französische Endlager für radioaktive Abfälle entstehen. Unter dem liebevollen Namen Cigéo (Centre industriel de stockage géologique).

Die Ausmaße eines solchen Lagers sind im Atomstaat Frankreich andere als bei uns. Nicht nur die über 80.000 m³ der schon vorhandenen radioaktiven Abfälle sollen dort eingelagert werden, sondern auch alles was in Zukunft noch anfällt. Und die 58 französischen Reaktoren produzieren täglich munter weiter... Das wären 100 Jahre lang zwei Castortransporte wöchentlich von der Wiederaufbereitungsanlage in La Hague bis nach Bure. Eingelagert wird dann allerdings aus Platzgründen ohne den schützenden Castorbehälter, was wiederum durch die nicht mehr vorhanden Strahlenabschirmung die festgeschriebene Rückholbarkeit extrem erschwert und auch etwaige Unfälle nicht mehr händelbar macht. Bis zum Verschließen des Bergwerkes wird in ca. 300 km Stollen in 500 m Tiefe inmitten einer 130 m mächtigen Tonschicht („Callovium Oxfordium“) über 100 Jahre lang gearbeitet werden. Verantwortlich dafür ist, als staatliche Agentur zur Entsorgung von radioaktivem Müll, die ANDRA. Diese wurde gerade erst von der französischen Atomaufsicht im laufenden Genehmigungsverfahren abgemahnt. Es ging darum, dass verwendete Materialien unter den gegebenen Umständen explosive Gase entstehen lassen, die permanent abgelüftet werden müssten. Diese Belüftung steht dann aber wiederum einer erfolgreichen Brandbekämpfung im Wege. Dieses Dilemma wurde von Betreiberseite bis dato ignoriert, obgleich dies eine schon seit langem geäußerte Kritik war.

Auch sonst wird dem Kenner der Geschichte Gorlebens einiges in der Historie zur Entstehung von Bure bekannt vorkommen. 25 Orte in Frankreich sollten dereinst verglichen werden. 24 wollten nicht und so wurde kurzerhand im einzig übrigbleibenden Ort Bure ein tiefengeologisches Forschungslabor eingerichtet. Seitdem wird Schritt für Schritt hier das Endlager manifestiert und, meist nachträglich, dann auch legalisiert. Auf die französische Art. Zentralistisch, von oben herab und mit viel, viel Polizei. So verabschiedete im Juli 2016 die französische Nationalversammlung ein Gesetz, das den legalen Übergang vom Labor zum Endlagerprojekt Cigéo darstellt. Der Abgeordnete Christophe Bouillon, der die Gesetzesvorlage im nahezu leeren Plenarsaal präsentierte, ist gleichzeitig Vorsitzender des Verwaltungsrates der Atommüllbehörde ANDRA. Der Gesetzestext spricht von einer industriellen Pilotphase von 2018 bis 2034. Während dieser Phase soll die wesentliche Infrastruktur gebaut werden: eine Bahnstation, ein Gebäude für die Anlieferung und für die Konditionierung des Abfalls, eine doppelte Rampenstrecke, auf der mittels einer Bergbahn die tonnenschweren Behälter untertage verbracht werden und das Auffahren der ersten 40 Kilometer. „Pilotphase“ würde ja eigentlich bedeuten, dass dann zum Abschluss geprüft und dann erst endgültig entschieden wird. Schwer zu glauben. Erst recht, wenn nicht mal an einem Plan B gearbeitet wird.

Das alles und noch viel mehr bietet natürlich ausreichend Angriffsfläche für den Widerstand. Nur hat die Kernenergie in Frankreich mehr Rückhalt in der Bevölkerung als hierzulande und die geringe Bevölkerungsdichte in und um Bure machen das ganze auch nicht leichter. Trotzdem hat sich in der Gegend ein kreativer, vielfältiger Widerstand etabliert. So konnte mitten in Bure ein deutsches Pärchen zu „Urlaubszwecken“ ein Haus kaufen, das jetzt schon seit vielen Jahren als Infohäuschen und Treffpunkt dient, das „Maison de résistance“. Es gab Waldbesetzungen, Protestcamps, Infoveranstaltungen und wie so oft ein Schulterschluss zwischen Alteingesessenen und jungen Zugezogenen.
Auch der alter Bahnhof von Luméville-en-Ornois an einer längst stillgelegten Bahnstrecke konnte in den 2000er Jahren von Aktivisten erworben werden und befindet sich jetzt in Vereinshand. Das ca. 8 ha große Gelände liegt idyllisch zwischen Luméville und Mandres-en-Barrois und wird das ganze Jahr über von den „Eulen“ bewohnt, wie sie sich passend zur Szenerie nennen. Ein altes Windrad dreht sich munter über dem Gelände. An einer der Bahnhofsruinen wird gerade fleißig gewerkelt, die andere wurde schon um- und ausgebaut. Es gibt hier eine große Küche eine Bibliothek ein Gemeinschafts- und Aufenthaltsraum, große Schlafsäle und Toiletten. Eingebettet in ein wieder ergrüntes Bahngelände, sprießen hier neben Büschen und Bäumen auch die wundersamsten Hütten aus dem Boden. Hier fanden nicht nur die Camps statt, über dieses Gelände wird auch auf eben jener alten Bahntrasse die Zuganbindung für die Castortransporte nach Bure geplant. Kaufangebote wurden natürlich abgelehnt. Und so kam, was kommen musste: der Enteignungsprozess wurde eingeleitet. Der läuft auch immer noch und aller Voraussicht nach wird der französische Staat noch dieses Jahr das Grundstück räumen und seiner Atommaschinerie einverleiben wollen. Bis dahin ist auf dem Gelände noch einiges geplant. Soviel, dass die Bewohner jede Unterstützung brauchen können.

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